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Von Bianca Praetorius
„Keiner geht mehr ins Theater“, sagt man. Ganz gelogen ist das, glaub ich, nicht. Aber das soll sich dringend ändern, schnell und für immer. Also los.
Jede Suche fängt heute im Internet an. Dort wohnen nämlich neben den Heinzelmännchen von Google auch all die jungen, klugen Innovationsprofis von denen man ständig in der Zeitung liest. Also, rufen wir voller Hoffnung diese vielversprechenden Vordenker an, um sie zu bitten, mit ihren digitalen Zauberfingern unser geliebtes Dinosauriermedium Theater ordentlich zu re-freshen.
Die re:publica war noch spannender als ich dachte.
Ein neuer Kontext kippt den Salat, in dem man sitzt, immer auf den Kopf. Gelte ich im Kontext meines buntgemischten und vielleicht sogar theaterlastigen sozialen Umfelds als doch schon sehr internetfähig und irgendwie auffällig oft mit meiner Nase am Smartphone Display klebend, erlebe ich mich auf der re:publica plötzlich als lächerlich uninformierter Internetlaie und meine Smartphone-Abhängigkeit entpuppt sich als harmlos sowie völlig legitim und notwendig.
Die Welt kommuniziert faszinierend gemeinsam hinter meinem Rücken miteinander. Gar nicht mit Absicht versteckt, aber dennoch im Abseits meines Sichtfeldfokus.
Ich habe seit drei Jahren einen Twitteraccount, aber ich nutze ihn nicht, weil ich dachte: , Herrje, der Tag hat ja jetzt schon kaum Stunden, weil ich so viel online bin, dieses Twittergeschnatter braucht doch kein Mensch. Facebook überfordert mich ja bereits maßlos. Neenee, macht mal alleine.
In meinen Internetrecherchen fielen mir in Fließtexten immer wieder diese überpräsenten Rauten auf. Ich halte sie für eine mir unverständliche Designvorliebe und hake sie innerlich ab. #Missverständnisse.
Die Rauten heißen Hashtags. Jeder weiß was Hashtags sind, außer ich und alle anderen. Sie ermöglichen Selektion in der Zwitscherhalle. Eine Raute vor einem Wort markiert dieses, sodass man alles, was darüber je gesagt wird, wiederfinden kann, wenn man will. Wirklich alle twittern inzwischen, und langsam ahne ich wieso.
Aber das ist natürlich nicht das, was diese Konferenz über digitale Gesellschaft für mich so wichtig macht. Aber für mich ein Zeichen, wie blind man gegenüber Diamanten sein kann, wenn man selbst doch denkt hinzusehen.
Das passiert Mir mit den neuen, digitalen Möglichkeiten – das passiert den neuen, digitalen Möglichkeiten auch mit Mir. Nicht mit Mir direkt, aber mit dem Diamantenklumpen, für den ich eigentlich auf der re:publica war. Dem Theater.
18.45 erster Tag re:publica, Halle 4. Vertreter des „Theater goes creative crowdsourcing Experiments“ präsentieren ihre Ergebnisse. Es war ein optimistischer Versuch des alten, grauen aber sexy Theaters auf das neue, grelle aber sexy Medium Web 2.0 zuzugehen. Die Ergebnisse und die eingereichten Ideen waren streitbar, alles schon gesagt. Insgesamt und von mir, im Vorab-Bericht.
Ist aber alles auch nicht wichtig – weil: Es war niemand da. Niemand stimmt nicht, aber nicht zu den Angehörigen gehörten vielleicht 20 Zuschauer. Was ist die Steigerung von Schade?
Die Präsentation war reizend. Bernd Moss eröffnete als Schauspieler des Deutschen Theaters die Session. Er erzählt von Dingen, die das Internet vom Theater doch ruhig mal lernen könnte: „Man könne einen roten Samtvorhang vor den Bildschirm tackern. Bei jedem Homepagewechsel einen kleinen Applaus.“ Warum auch nicht? Alles mit dem Charme und der Schlagfertigkeit, für die man Schauspieler so gern hat.
Wenn wir Dinge nehmen, die die Einen von den Anderen lernen können: Das. Die alleinstehende Präsenz und der Humor des Präsentierenden entscheidet ganz deutlich darüber, ob man zuhört und versteht. Wer sich nur online präsentiert, der stolpert vielleicht leichter über sein offline-Ich. Denn man ist ja beim bloggen und twittern kein Avatar. Im Gegenteil. Man begeht immer den Versuch, die etwas verbesserte Version von sich Selbst zu sein. Mein Blog ist schnell, smart, witzig und woohoo, und privat kann ich kaum in ein fremdes Augenpaar sehen. Ich glaube das hat was mit der Gewohnheit von Begegnung zu tun. Und dieses Begegnen gibt’s zum Beispiel im Theater. Und das ist – hell yeah, ist das bewahrenswert.
Die sozialen Medien erziehen einen automatisch zur Partizipation. Es ist babyleicht mitzubestimmen im Internet. Es ist babyleicht zu merken: „Das kann ich auch.“ Selbermachen. Youtube-Tutorials, Online-Universität, E-publishing. Das hat alles diesen Mitmach-Geist. Und das reizt mich, und Milliarden andere.
Twitter genauso. Die Vizepräsidentin von Twitter, Katie Jacobs Stanton, war für Twitter da, hielt eine Rede und erzählte unter anderem von einem amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf-Duell, in denen Millionen von Zuschauern während der Übertragung twittern konnten, ob sie finden, dass der Kandidat die Frage gerade beantwortet oder ihr ausweicht. Die Ergebnisse dessen wurden während der Fragenbeantwortung live eingeblendet und als Kurve sichtbar für den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten gemacht. Das ist eine Dimension an Mitwirken und Beteiligen, da muss ich gleich heulen vor Rührung. Außerdem ist das tatsächlich sehr relevant.
Was mich wieder zum Theater bringt. Völlig egal als wie relevant ich Theater empfinde. Die anderen empfinden das offenbar nicht, sonst wären sie doch gekommen, oder? Weiß ich nicht. Denn: Fast parallel zu der Präsentation von „Theater inter Action“ schloss Sascha Lobo den ersten Tag der re:publica mit einer Rede zur Lage des Internets. Sascha Lobo führt die gefühlte Top Ten des Who is Who der deutschsprachigen Internetszene an. Der Mann mit dem roten Punk-Zitat auf dem Kopf. Da es zum guten Ton der digitalen Gesellschaft gehört seine Quellen freiwillig anzugeben und ich außerdem seine „Session“ sehr genoss: Die Gedanken über den Grundmotor des Web 2.0 „Das kann ich auch“ und das daraus heranwachsende Demokratie-Feeling, hab ich bei ihm geklaut. Wer weiß, wie ich darüber in ein paar Monaten denke, die Urheberrechtsdebatte ist schließlich in vollem Gange. Neben Herrn Lobo musste die Theater-inter-Action Präsentation noch mit dem Sonnenuntergang eines sonnigen 2. Mais kämpfen. Und es gab Freibier zum Sonnenuntergang. Harte Gegner für das Theater, bei dessen Wortklang die meisten Anwesenden sowieso ziemlich ausschließlich an Hamlet und Faust denken.
In der leeren Halle 4: Als Sieger der Jovoto Community ging die Stage 2.0 von Filip Gavril hervor. Eine Buchartige Bühne, durch deren Seiten man hindurch laufen kann und sich somit für jede Seite der Hintergrund wechselt. Keine bahnbrechende neue Idee, aber ziemlich schön.
Der Bühnenverein hat auch eine Liste der acht interessantesten Ideen zusammengestellt, ihr Liebling war „Got it? So use it!“ von mikaR, die sie auch vorstellten. Eine App die jeder Zuschauer mit seinem eigenen (oder vom Theater geliehenen) Smartphone oder Tablet nutzen kann, um während der Vorstellung ins Geschehen einzugreifen. Oder auch um den Blickwinkel zu wechseln. Durch eine Kameraperspektive vom Kopf des Schauspielers aus, um die Geschichte aus einer anderen Sicht zu sehen. Hoffentlich ist sie das endlich, die Rettung des Abendlandes.
Die acht Ideen, die die Vertreter des Deutschen Bühnenvereins am spannendsten fanden, werden bei der nächsten Tagung einander vorgestellt, um zu sehen, ob sich die ein oder andere Idee umsetzen lässt.
Die Erfahrung allerdings, dass es irgendwie ansteckend sein kann, eine Online-community über mögliche Zukunftsvisionen des Theaters beraten zu lassen, ließ eine sehr vielversprechende Idee entstehen: So etwas als Dauereinrichtung. Ein Theater-Think-Tank. Viele wissen immer mehr als Einzelne. Und wo hat das neue Wir-Gefühl Platz, wenn nicht am Theater.
Ich kann mir vorstellen, dass eine feste Anzahl an Inszenierungen grundsätzlich per Thinktank entsteht. Ähnlich wie die Spielplanwahl am Thalia Theater, eben eine demokratische Inhaltsfindung einer Inszenierung. Ich weiß, die großartigsten Kreativen sind schon längst am Theater. All jungen Regisseure und Künstler, die sich im Großraum Theater und performative Kunst bewegen, wären auch auf die Ideen der Jovotaner gekommen. Locker.
Ich finde es ziemlich vorstellbar, einen kollektiven Geburtsprozess einer Inszenierung im Web abzuhalten und dann untereinander nur abzustimmen, wer es letztendlich umsetzt. Als Stellvertreter und Abgeordneter des Thinktanks. Die Inszenierung wäre ein Produkt der Community, dessen Entstehung man online verfolgen kann. Es würde eine andere Dynamik ins Theater reinspülen, die die Trennung von Off- und Stadt Theater weiter verwässern könnte, weil es ein „Wir“ behauptet.
Dieses „Wir“ zu behaupten ist tatsächlich wahnsinnig verführerisch nach drei friedlichen, klugen, innovativ-aufgeladenen Tagen re:publica 2012. Neue, shiny Zukunft. Genau da bin ich abzuholen. Obacht.
Die letzte Abschlussrede der re:publica hielt eine Bloggerin, die gemeinsam mit Sascha Lobo phänomenal lustige Bücher über Prokrastination schreibt und genauso Teil des deutschen Blogger-Adels ist wie er: Kathrin Passig. Sascha Lobo hat mir das Gefühl gegeben, einer neuen Weltordnung beizutreten. Kathrin Passig widerlegt dieses Gefühl entwaffnend spröde mit einer langweiligen Powerpoint-Auflistung von Zitaten der „Widerlegten Zukunftsvoraussagen in der Geschichte der Menschheit“. Als die Bahn erfunden wurde hieß es, „So, das wird aber jetzt die Menschen zu Frieden auf Erden führen.“ Dann kam das Telefon: „So, dann aber das jetzt: Hundert Prozent Menschlichkeit und Weltfrieden.“ Dann kam das Fernsehen ‒ selbes Spiel. Selbes Ergebnis.
Ab da hüte ich mich ‒ also meine optimistische Zunge ‒ weiter über die schleichende Demokratisierung der Welt und die endgültige Partizipation aller Menschen am Leben zu erzählen. Verlockend, aber ich lass es lieber.
Mein Lieblings-Gadget auf der Konferenz war die analoge Twitter-Wall in der Haupthalle.
Während jeder Session hatte der Großteil der Zuschauer ein Tablet und/oder Smartphone in der Hand. Mit einem Ohr zuhören, mit einem Ohr etwas anderes tun. Die Dinge über die gerade auf der Bühne gesprochen wird, schnell nachgoogeln oder eben darüber twittern.
Diese Tweets, die alle mit dem Hashtag #rp12 (für re:publica 2012) unterlegt waren, wurden dann ausgedruckt und mit Kleister und Leim an eine Wand gekleistert. Wie eine Litfaßsäule. Ich konnte also, nachdem eine Session vorbei war, direkt lesen was all die „stummen Anderen“ um mich herum gedacht haben. Denn die haben das offensichtlich getwittert. Und Huch: „Die denken ja das selbe wie Ich. Oder noch was viel besseres.“
Zu lesen, was die Anderen über das gerade gemeinsam Gesehene getwittert haben, entbindet sie von dem sich mir ebenso dominant wie falsch liefernde Bild des autistischen Nerds der mit gesenkten Kopf stumm auf sein Smartphone schaut. Auf der re:publica, im Café oder in der U-Bahn. Die machen nämlich tatsächlich irgendwas da. Und dann wird das plötzlich für alle sichtbar, oha!
Wie gerne stelle ich mir das fürs Theater vor: Nach einer Vorstellung gehe ich aus dem Saal und kann an den Wänden die Gedanken der 300 fremden Anderen lesen, die gerade noch neben mir saßen. Sie verlieren plötzlich ihre Unsichtbarkeit, und es bleibt mir nicht verborgen, dass wir tatsächlich die gleiche Vorstellung besucht haben.
Da ist es dann wieder, die Schüssel zum Salat: Das vielgesuchte Wir-Gefühl.
Bianca Praetorius
Fotos: Bianca Praetorius