Kritik

„Hoop“ – Gastspiel am Landestheater Marburg

Gemeinsam mit der Regisseurin Wies Bloemen haben vier Tänzer:innen des jungen Amsterdamer Tanztheaters AYA das Stück „Hoop“ erarbeitet. Darin dreht  sich alles um Hoffnung und wie wir unseren Planeten erhalten können.

Aufführung: 13.03.2024  im Rahmen von KUSS, der Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche

Foto oben: Amanda Harput
Beitrag von: am 15.03.2024

Im besten Fall handeln sie

 

„Auf welchen Planeten würdest du gerne mal fliegen?“ – das steht auf einem Schild, das während des KUSS-Festivals im Foyer des Marburger Theaters am Schwanhof aufgehängt ist. Im Gastspiel „Hoop“ dreht sich alles um die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft auf dieser Erde. Es geht weniger darum, auf welchen Planeten wir gerne reisen würden, sondern vielmehr darum, ob wir unseren Heimatplaneten am Leben erhalten können.

Schon beim Betreten des Theaterraums interagieren die vier Darsteller:innen mit den Zuschauer:innen. „Do you want to sit here?“, fragt Fleur Roks und zeigt auf zwei Bankreihen, welche die Tanzfläche umrahmen. Es ist unklar, wann das Stück beginnt und wann die Platzeinweisung aufhört. Die Musik wird langsam lauter, während eine letzte Zuschauerin eilig auf ihren Platz zusteuert.

Die Tänzer:innen beginnen sich energetisch zur Musik zu bewegen und versuchen, die Anwesenden für die rhythmischen Klänge zu begeistern. Während Gary Gravenbeeks Tanzsolo tauen die Zuschauer:innen langsam auf. Sie beginnen hin und her zu wippen, und einige klatschen zur Musik. Als Roks mit einem Solopart übernimmt, jubelt ihr eine Person begeistert zu. Winter Wieringa und Laura Costa betreten die Mitte der Bühne und tanzen als Paar eine stimmungsvolle Contemporary-Choreografie. Costa unterbricht die Musik, auf den Schultern von Wieringa sitzend, mit den Worten: „Hope. What ist hope?“. Sie erklärt, dass Hoffnung für sie esperança ist und stimmt auf Portugiesisch ein Lied an. Erst leise und zögerlich, dann lauter. Sie wird von ihren Mittänzer:innen umkreist, bis alle hinter ihr herrennen und sich fast zu jagen scheinen.

Die Vier tanzen im Gleichschritt zu den Worten der Musik: „We will not be silent, we have each other.“. Dabei bilden sie eine Schlange und fordern das Publikum auf, sich ihnen anzuschließen. Inzwischen stehen etwa 20 Zuschauer:innen auf der Bühne und formen nach den Anweisungen der Darsteller:innen das Stück zu jenem „interaktiven Tanztheater“, das angekündigt war.

Gravenbeek moderiert und teilt die Bühnenhälften in eine Ja- und Nein-Seite ein. Es werden Fragen gestellt, und alle, die sich auf der Bühne befinden, sollen sich dazu positionieren. Die Teilnehmer:innen werden gefragt, ob sie denken, dass in 200 Jahren noch Menschen auf der Erde leben werden. Die Antwort ist uneindeutig, auf beiden Seiten stehen Partizipierende. Sie versammeln sich schließlich im Kreis und bekommen drei weitere Fragen gestellt. Sie werden gefragt, ob sie glauben, diese Erde gehöre allen von uns. Wer dagegen ist, soll sich setzen. Am Ende stehen alle Beteiligten – für Gravenbeek ist das ein Beispiel dafür, die Hoffnung nicht zu verlieren.

„I just believe it‘s possible.“, sagt er schließlich und tritt in den Dialog mit den Anwesenden. Er fragt eine Zuschauerin, was sie tue, um die Welt besser zu machen. Sie sagt, sie versuche es eben einfach. Gravenbeek meint, Dinge zu hoffen, fühle sich oft abstrakt an und fragt, ob wir nicht einfach ineinander Hoffnung haben können. „I hope YOU.“, sagt er und reicht dabei Leuten aus dem Publikum die Hand, wie beim sonntäglichen Friedensgruß.

Zum Schluss erklingt eine Stimme: „This is your ancestors speaking.“. In Liedform spricht der homo oeconomicus eine Entschuldigung an die folgenden Generationen aus, die schmerzzerrissen von den Darsteller:innen vertanzt wird. Gravenbeek trägt ein Gedicht auf Niederländisch vor, das zu einem Rap-Song mutiert. Spätestens als die Tänzer:innen mit der anschließenden Nachricht: „Ik doe het niet alleen.“ (dt.: Ich mache es nicht allein.) unter Applaus von der Bühne verabschiedet werden, ist klar, worum es geht.

„Hoop“ ist ein Stück der Extreme. Zwischen religiös anmutenden Riten, Animationstanz und Publikumsumfragen können die Zuschauer:innen tänzerische Höchstleistung bestaunen. Das Stück vermittelt Lebenslust, aber auch Gefühle der Reue und Zerrissenheit in einer präapokalyptischen Welt. Diese Gefühle sind so komplex, wie die Menschen, die dem Spektakel folgen. Im Stück durften sie sich reflektieren. Vielleicht haben einige von ihnen einen Arbeitsauftrag mit nach Hause genommen und fragen sich jetzt, was sie für ihre Mitmenschen und diesen Planeten tun können und dann, im besten Fall, handeln sie – denn keiner „doe het alleen“. Hoffnung schöpft man durch einander, für einander und miteinander.

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Elisa Freede ist in der Pfalz aufgewachsen. Aktuell studiert sie Kunst, Musik und Medien an der Philipps-Universität in Marburg. Neben dem Studium arbeitet sie freiberuflich als Musikerin und schreibt für das Studierendenmagazin PHILIPP.