Im Sommer bin ich für zwei Monate in Salzburg, arbeite als Regieassistentin und Inspizientin bei den Salzburger Festspielen. Diese Saison wäre mein fünftes Jahr gewesen und ich habe mich sehr auf den besonderen Jubiläumssommer gefreut. Daraus wird nun nichts. Die Kinderoper, für die ich engagiert wurde, ist aufs kommende Jahr verschoben worden. Festspiele gibt es aber trotzdem. Salzburg hat sich in der Pandemie von Anfang an quer gestellt, sich anders verhalten als viele vergleichbare Großveranstalter. Man sieht sich als Vorreiter. Ob das Konzept aufgeht wird man erst hinterher wissen, vorher werfe ich einen Blick auf die Änderungen.
200 Vorstellungen, 16 Spielstätten, 44 Tage, dazu unzählige Ausstellungen, Sonderveranstaltungen, Volksfeste, Podiumsdiskussionen. Mit dem Programm zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele hatte sich die Direktion Einiges vorgenommen. Kein Wunder, geht es doch um eines der bedeutendsten Theaterfestspiele der Welt. Nicht verwunderlich ist deshalb auch, dass man mit entsprechend bangen Blicken ins Nachbarland schaute, als die Covid_19-Pandemie im ersten Jahresdrittel nach Europa schwappte.
Anfang März traf es zunächst die Osterfestspiele. Das behördliche Spielverbot wurde ausgerechnet am Freitag den 13.03.20 an die Öffentlichkeit kommuniziert. Österreich war damals noch Corona-Hochburg, Ischgl wird am selben Tag zum Risikogebiet erklärt. Die Absage der Tiroler Festspiele Erl am 31.03.20 ist vorprogrammiert. Etwas überraschender ist, dass gleichzeitig auch aus Bayreuth die Nachricht kommt, dass die Festspiele nicht stattfinden werden. In ganz Europa ist das nun so. Die Arena in Verona soll vorerst leer bleiben, Glyndebourne findet 2021 wieder statt, Bregenz arbeitet an einem Ersatzprogramm. Am 06.04.20 verkündet Cecilia Bartoli, Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele das Aus eben dieser. Am 21.04.2020 sagt Markus Söder das Münchner Oktoberfest ab. Ein Festspielsommer, gar eine Hundertjahrfeier scheinen fast unmöglich. Doch unermüdlich tritt die Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler vor die Kamera und erklärt auf dem hauseigenen Facebook-Kanal, dass man in Salzburg noch abwarten wolle, bittet Gäste und Festspielfreunde um Geduld.
Im Hintergrund arbeiten Politik- und Kulturvertreter*innen des Landes mit Hochdruck an einer Lösung für die Gesamtheit der Kulturbetriebe. Sicherlich ist es nicht anmaßend zu sagen, dass die Rolle der Festspiele in der österreichischen Kulturlandschaft enorm ist. Nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich. Die Festspiele zahlen Steuern im zweistelligen Millionenbereich, beschäftigen in der Saison bis zu 2.300 Mitarbeiter, locken Touristen aus aller Welt und erhalten verhältnismäßig geringe staatliche Förderung. Es scheint als sei die endlich beschlossene Verordnung durchaus mit Blick auf die Festspiele verhandelt worden. Ab dem 28.05.2020 dürfen Theater in Österreich wieder öffnen. Ab August sind Veranstaltungen mit bis zu 1000 Teilnehmenden erlaubt.
Salzburgs Taktik zahlt sich tatsächlich aus. Helga Rabl-Stadler sagt im Video: „Ich habe keine Minute daran gezweifelt, dass wir in diesem Sommer spielen würden.“ Obwohl die Festspiele bisher nur zweimal abgesagt werden mussten – 1924, aus Geldmangel und während des 2. Weltkrieges 1944 – muss ich gestehen, dass ich durchaus gezweifelt habe.
Bis zum endgültigen Programm ist es auch noch ein weiter Weg. Neben einem deutlich abgespeckten Spielplan muss auch ein sicheres Hygienekonzept erstellt werden. Für das Publikum wird bis zum Sitzplatz Maskenpflicht gelten, die Sitzordnung berücksichtigt den Mindestabstand von einem Meter zwischen zwei Personen, der Ein- und Auslass soll kontrolliert und geregelt über verschiedene Türen und markierte Wege funktionieren, es wird keinerlei Pausen oder Bewirtung geben, an einer Spielstätte wird immer nur eine Veranstaltung zur Zeit stattfinden, die Tickets sind personalisiert, eine Ausweiskontrolle ist vorgesehen. Im ganzen Festspielhaus sind Desinfektionsspender aufgehängt. Natürlich hat das Festspiel-Komitee auch die eigenen Beschäftigten im Blick. Auch vor der Wiedereinführung der Maskenpflicht in Supermärkten, vergangene Woche, waren die Mitarbeiter*innen der Festspiele angehalten beim Einkaufen einen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Von ausschweifenden Freizeitaktivitäten und Besuchen im Biergarten, bittet man die Beschäftigten abzusehen. Um mögliche Infektionen zu verhindern wird auf einen Großteil der externen Mitarbeiter*innen verzichtet, alle notwendigen Angestellten und kurzfristig Beschäftigten müssen vor Arbeitsantritt einen Corona-Test machen. Das nachgewiesen negative Testergebnis darf zu Beginn der Tätigkeit nicht älter als vier Tage sein. Um die Kontrolle zu erleichtern, werden drei Gruppen unterschieden, die rote Gruppe sind Bühnenakteur*innen und andere denen es nicht möglich ist die Abstandsregeln einzuhalten, oder während der Arbeit einen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Sie müssen ein Kontakt-Tagebuch führen und werden regelmäßig getestet. Die orange Gruppe umfasst Mitarbeiter*innen, die die Abstandsregeln nicht immer einhalten -, aber bei der Arbeit einen Mund-Nase-Schutz tragen können, zum Beispiel Ankleider*innen, oder Bühnentechniker*innen mit Personenkontakt. Auch sie müssen ein Tagebuch führen. Der gelben Gruppe schließlich sind alle übrigen Mitarbeiter*innen zugeordnet, die die Abstandsregeln einhalten und einen Mund-Nase-Schutz tragen können.
Die Arbeit unter diesen Bedingungen ist mühsam. Techniker*innen, die bei schwerster körperlicher Arbeit, beispielsweise beim Bühnenaufbau, eine Maske tragen müssen, aber auch Bühnenmaler*innen, Schneider*innen, Ankleider*innen, Putzkräfte, sowie viele weitere haben es in diesem Jahr nicht leicht. Auch den Bühnenakteur*innen wird die Arbeit durch die Kontrollen erschwert, zumal die Aktionen auf der Bühne anders bedacht und unter dem Aspekt der Sicherheit unter Umständen neu bewertet werden müssen. Hinzu kommt bei allen Beteiligten die Sorge, oder Ungewissheit über die tatsächliche Risikolage und der Gedanke an eine mögliche Erkrankung an dem Virus, das wir noch immer nicht so recht einzuschätzen wissen. Trotz allem arbeiten derzeit alle weiter daran die Festspiele am 01.08.2020 zu eröffnen und echte Theatererlebnisse vor Live-Publikum zu ermöglichen. „In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass die Sehnsucht nach diesem Zusammenfinden übergroß geworden ist.“, sagt Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser und trifft damit wohl den Nagel der Kulturwelt auf den Bühnen-Kopf. Die Krise der letzten Monate verlangte Social-Distancing unfreiwillige, zeitweise Einsamkeit, der Hunger auf echte Begegnung und gemeinschaftliches Erleben ist bei vielen spürbar. Vielleicht ist es sogar ein ähnlicher Hunger wie der, der Max Reinhardt 1917 inmitten des ersten Weltkrieges dazu bewog seine Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Salzburg zu schreiben. In einer furchtbaren, weltweiten Krise nennt er das Theater ein „Lebensmittel für die Bedürftigen“ und möchte Festspiele für die gesamte Bevölkerung. Die derzeitige Krise ist sicher weniger grausam, die Salzburger Festspiele gelten längst als elitär, und die Ticketpreise sind sicher nichts für ´Jedermann´. Können sie trotzdem jetzt wieder „Lebensmittel“ sein? Zwingen die äußeren Umstände die Salzburger Festspiele zu einer Rückbesinnung?
Das erschlankte Programm lässt zumindest eine gewisse Demut erkennen. 110 Vorstellungen wird es geben, in 8 Spielstätten verteilt über 30 Tage. Inhaltlich und personell präsentiert es sich in Teilen ungewöhnlich sozialkritisch. Die Oper scheint unter dem Motto „starke Frauen“ zu laufen dort zeigt man Richard Strauss´ „Elektra“ und Mozarts „Così fan Tutte“. Letztere mit den Wiener Philharmonikern dirigiert von Joana Mallwitz, ihres Zeichens Dirigentin des Jahres 2019 und die erste Frau, der bei den Salzburger Festspielen eine gesamte Aufführungsserie anvertraut wird (so wird es erschreckenderweise auf der Webseite der Festspiele proklamiert). Im Jahre 2020 ein zweifelhaftes Prädikat. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Arbeit auch in diesem außergewöhnlichen Jahr die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient.
Im Schauspiel stehen neben dem obligatorischen Jedermann zwei Uraufführungen auf dem Plan: Milo Rau, künstlerischer Leiter des NT-Gent, politischer Aktivist, Regisseur und Autor wagt gemeinsam mit der Schauspielerin Ursina Lardi eine Stückentwicklung. „Everywoman“ stellt die Fragen was uns am Ende des Lebens bleibt, ob es richtige und falsche Entscheidungen gibt, ob der Tod uns erlöst. „Zdeněk Adamec“ von Literaturnobelpreisträger Peter Handke (Regie: Friederike Heller) greift die Geschichte eines jungen Tschechen auf, der sich 2003 in Prag selbst in Brand steckte; versucht ihm eine Identität zu geben und fragt: Wer sind wir überhaupt? Selbst im jungen Musiktheater wird es in diesem Jahr mit einer weiteren Uraufführung existentiell. „1000 Kraniche“ unter der Regie von Sybrand van der Werf erzählt die wahre Geschichte von Sadako Sasaki, die den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zwar überlebt, dann aber an Leukämie erkrankt.
Vielleicht ist gerade dieser Sommer die richtige Zeit, um solche Themen zu behandeln und Fragen zu stellen; sich als Künstler und Besucher mit sich selbst zu konfrontieren, vielleicht gehen die spannenden neuen Entwicklungen aber auch mit der Pandemie zu Ende. Zu wünschen wäre es, dass Max Reinhardts Worte noch einmal wahr werden und wir im nächsten Jahr sagen können: „Nie zuvor sah das Theater seine oft bezweifelte Würde vor eine ernstere Probe gestellt und niemals hat es irgendeine Probe so ehrenvoll bestanden.“