Wenn etwa 80 Jugendliche aufeinandertreffen, die allesamt gemeinsam haben, dass sie ein Faible fürs Theater haben, dann steht fest: Es knallt! Es wird gespielt, geguckt, diskutiert, kritisiert und auch getanzt – nach einer gefühlten Ewigkeit war dies wieder live und analog möglich. Das Bundestreffen Jugendclubs konnte nach einem Jahr Stillstand in Cottbus stattfinden und feierte dabei Jubiläum.
Das „Bundestreffen Jugendclubs an Theatern“ ist ein Wettbewerb, an dem junge Schauspielgruppen mit ihren aktuellen Produktionen teilnehmen können. Etwa sechs Gruppen werden anschließend dazu eingeladen, ihr Stück auf dem Theaterfestival aufzuführen, sich gegenseitig zuzuschauen und darüber hinaus an „shortacts“ teilzunehmen, Workshopeinheiten zu Performance und Tanz. Die Auszeichnung ist also knapp eine Woche Theater pur. Das Bundestreffen findet jährlich in wechselnden Städten und Theaterhäusern statt.
Dieses Jahr, zum 30. Geburtstag des Bundestreffens, machen sich sechs Gruppen aus fünf Städten sowie Delegierte aus ganz Deutschland auf nach Cottbus. Eher verhalten verläuft das erste Aufeinandertreffen auf dem Campus des Theaters, es muss erst einmal gefasst werden, dass nach über einem Jahr Zoom-Proben und Starre alle Türen offenstehen, dass physische Begegnungen möglich sind. Für die Gruppe aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus, die mit einer Zoom-Performance eingeladen wurde, ist das Bundestreffen gar das erste richtige Zusammentreffen als Ensemble. Der Jugendclub des gastgebenden Piccolo Theaters Cottbus (das Theater feiert ebenfalls seinen 30. Geburtstag) macht den Start mit dem Stück „Die Verdunkelung II – Coronaleuchten“; jeden Tag folgen ein bis zwei der eingeladenen Stücke.
Die Produktionen bilden ein Potpourri aus inhaltlicher sowie medialer Varianz – auf der einen Seite ist da Bildertheater à la Brecht, das die großen gesellschaftlichen Strukturen von Klassismus und Rassismus in den Blick nimmt (Schauspiel Frankfurt – „Rund oder spitz – Weltordnungen“); auf der anderen Seite erzählen Jugendliche in ihre Laptop-Kameras ungefiltert und unverblümt, wofür sie sich ganz persönlich schämen und wofür nicht mehr (Schauspielhaus Düsseldorf – „Shame!“). Es gibt Theaterproduktion, bei denen sich die Spielenden auf der Bühne verausgaben, schreien, schwitzen und durch die Publikumsreihen schreiten (Theater der Keller – „Danke Merkel“). Andere sind ruhiger, greifen Themen auf, die eher untypisch erscheinen, wie etwa „Schwanensee“ (Stellwerk Weimar). Die Gruppe aus Weimar zeichnet einen Gegenentwurf zum tragisch-kitschigen Klassiker, der die Regeln des Balletts, Körpernormen, Ausschlusskriterien und fragile Männlichkeit problematisieren. Durch die Coronazeit sind auch neue kreative Formen des Schauspiels entstanden. Im Handumdrehen findet sich das Publikum in einem Audiowalk als Antigone wieder und durchlebt Stationen ihrer Reise bzw. einer Reise, denn die Geschichte steht stets im Querverweis auf Seawatch-Kapitänin Carola Rackete, die vor zwei Jahren trotz Verbot fliehende Menschen auf dem Mittelmeer rettete (Stellwerk Weimar – „Antigone – eine Recherche“). Und selbst Hamlet erlebt sein Revival als Zoom-Nutzer und sieht sein Leben auf dem Bildschirm aus den Fugen geraten (Thalia Theater – „hamlet.“).
Was die Jugendlichen und Inszenierungen bei dieser Vielfalt eint? Es kriselt. Und zwar gewaltig. Egal ob es das Klima, die Demokratie oder das eigene Heranwachsen und Körperbefinden ist. Die Jugendlichen nehmen diese Krisen auf, setzen sie in Kontext zu sich und ihrer Umwelt, machen sie zu fundamentalen Themen ihrer Produktion. Sie nehmen Stellung, sie möchten keine althergebrachten Narrative reproduzieren, keine gängigen Klischees bedienen. Sie erheben ihre Fäuste und klagen spielerisch an, etwa Angela Merkel in einem Gerichtsverfahren – die Tat: ihre Ignoranz gegenüber der Klimakatastrophe. Ein anderes Mal ist es Europa und sein Versagen bei der Rettung von Menschenleben. Die Nebelmaschinen werden angeschmissen, Pathos wird großgeschrieben, wenn sich die Spielenden im Bademantel unter Stroboskoplicht sehnsüchtig die Seele aus dem Leib tanzen, vereinsamt in der Pandemie, oder auf Kühlschränke einschlagen, die die letzten Eisgletscher abbilden (könnten), die der Erde noch bleiben. Sie sind laut, sie sind wütend. Ihr Spiel ist von enormer Dichte durch die Worte, die sie sprechen und schweigen, durch die Bewegungen und Gesten, die sie ausführen, sodass man denkt, jede Sekunde könnte etwas platzen – der Kragen, eine Konfettikanone, irgendetwas. Sie wollen zerstören oder zumindest stören, ohne aber zu vernichten.
Auch Momente der Verletzbarkeit und Zartheit sind nicht rar, sie bekommen ihren Platz, manchmal wird es ganz still auf der großen schwarzen Bühne und dann hört man erstmal nur ein erschöpftes Atmen. Die Darstellenden scheuen sich nicht davor zu fallen, sie reflektieren sich selbst, durchbrechen die vierte Wand. Ein Nachbeben. Die Bühne wird zum Raum, um das Publikum direkt zu adressieren, um Widersprüche und Zweifel zu offenbaren. Die Jugendlichen fragen, wie viele Privilegien sie haben. Dass ein großer Teil von ihnen an institutionalisierten Theaterhäusern spielt und dementsprechend Produktionen, Bühnenbilder und Programmhefte finanziert werden können, ist bereits eins. Sie fragen, was sie eigentlich mit ihren Stücken aussagen wollen. „Wir sind doch nur so eine weitere Gruppe, die sich die Welt nach ihren Vorstellungen wünscht“, ruft ein Spieler in die Menge. Stille.
Und tatsächlich – das Festival erscheint wie ein Planspiel, wie eine utopische Blase, in der sich die Teilnehmenden vielleicht nicht in allem einig sind, aber einen Grundkonsens für Werte und ein friedliches Zusammenleben mitbringen. – Das Patriarchat? Muss weg. Mehr Mitbestimmung im Theater? Fundamental. Die Blase hält so lange wie das Festival Tage hat. Dann reisen alle ab, kehren Heim in ihre Städte, in ihre Schulen, zu ihrer Arbeit und ihren Universitäten, die Revolution bleibt aus.
Was aber bleibt: Das Theaterfestival, das im Piccolo-Theater diesmal seinen Platz fand, ist politisch und anregend. Die Jugendgruppen zeigen die Widersprüchlichkeiten dieser Welt, bringen gesellschaftliche Mechanismen näher, die so komplex sind, dass wir uns den Dimensionen oft nicht bewusst sind. Trotz der Härte klingt auch immer ein „Wir sind nicht allein“ durch. Das Foyer füllt sich nach den Stücken, mal ist die Stimmung heiterer, mal hängt eine kollektive Nachdenklichkeit im Raum. Immer wird heiß diskutiert, Verständnisfragen werden ausgetauscht, genauso wie grundlegende Fragen: „Was kann und soll Jugendtheater?“, „Was bringt es, wenn Theaterstücke fast nur Gleichdenkende erreichen?“, „Wie partizipativ ist Jugendtheater wirklich und wie viel kommt von der Regie?“. In den Nachgesprächen wird gelauscht, gefragt und widersprochen. Ein konstruktiver Austausch prägt das Festival, der sich bis auf die Tanzfläche am Abend zieht und neue Bekanntschaften entstehen lässt. Es ist schön zu sehen, wie sich diese Generation an Theaterschaffenden einbringt, wie sie sich an große Themen wagen, Machtdynamiken des Rassismus und Sexismus auf individueller Ebene aufzeigen und strukturell versuchen einzuordnen. Das Bundestreffen und die Teilnehmenden bieten mit ihren Stücken und Diskussionen eine Einladung – eine Einladung, mitzudenken und zu hinterfragen, die hoffentlich über das gemeinsame Theatererlebnis hinausreicht und vielleicht bis zum nächsten Bundestreffen 2022 an neuen Dynamiken gewinnt, dann in Weimar.