Der Raum ist kreisrund, in der Mitte die Bühne mit dem Projektor. Darum herum sitzt das Publikum. Zwei Tänzer:innen mit langen Perücken, die das Gesicht verdecken, bewegen sich langsam auf die Plattform. Dann fallen sie hin, bewegen die Körperteile auf komisch abgespreizte und unnatürliche Weise. Fast sieht es aus, als wären sie nackt. Sie sind nur von etwas Glänzendem bedeckt, das sich teilweise abzupellen scheint wie Haut. Die Körper wirken wie Embryos, die erst schlüpfen und lernen müssen, wie sie ihre Muskeln gebrauchen können.
Dumpfe metallische Geräusche ummalen die Szenerie, als würde Wind durch leere Schächte rauschen. Es hört sich nach Ödnis an, nach einer Leere, aus der erst etwas entstehen muss. Gegen scharfe, flackernde Scheinwerfer und Stroboskopeffekte wirken die Silhouetten der Tänzer:innen besonders markant. Als sie die Perücken schließlich abnehmen, sind über die Köpfe etwas wie hautfarbene Strümpfe gezogen, die Gesichter bleiben unkenntlich und strukturlos.
Die ganze Zeit bewegen sich die Tänzer:innen auf einem Teppich aus Pflanzenteilen, die wild durcheinander auf der Plattform liegen. Schließlich befreien sie ihre Gesichter von der Stoffhülle. Sie bewegen sich nun wilder, zuckender und repetitiv, zeigen dem Publikum demonstrativ verschiedene Körperteile, Arme, Brustkorb und die Füße. Sie legen sich übereinander, tragen einander, mal schlaff und leblos, mal bäumen sie sich aus eigener Kraft vom Boden auf. Zu hören sind nun sphärisch übereinandergelagerte Streicher- und Klavierklänge.
Diesen ersten, längsten Teil der Performance löst eine Videoprojektion auf der Planetariumskuppel ab. Der Raum wird dunkler, bis die Tänzer:innen nicht mehr zu sehen sind. Eine Erdkugel senkt sich auf die nach oben gewandten Gesichter des Publikums herab. Eine begrünte Insel taucht auf und inmitten des Grüns erscheint eine Statue, halb Pferd, halb Löwe und ein Amphitheater.
Die Stimme von Schauspielerin Sandra Hüller erzählt von einem einsamen Wanderer, der auf die Insel kam, in Träume versank und in diesen Träumen Körper erschuf, bis die Träume Realität und die Realität Traum wurde. Mehrere geschlechtslose und divers geformte Körper schweben bewegungslos über den Stufen des Amphitheaters, während man sie im Publikum aus verschiedenen Perspektiven zu sehen bekommt. Die Gesichtszüge sind verformt und abstrakt.
Dann folgt ein fließender Übergang in den dritten Teil der Aufführung. Kuppelprojektion und Tänzer:innen, die nun Motion Capture Anzüge tragen, vereinen sich zu einem gemeinsamen Tanz. Die Bewegungen der realen Personen werden beinahe nahtlos von den sich nun bewegenden Avataren auf der Kuppel nachgeahmt. Dabei wechseln die Tänzer:innen in der Projektion zwischen den verschiedenen Körpern, die vorher im Amphitheater zu sehen waren. Erst performen die Avatare einzeln, entdecken ihre Bewegungsmöglichkeiten, dann wachsen sie gegenseitig auseinander heraus.
Die gesamte Performance nimmt sich Zeit. Als Zuschauer:in kann man sich vollkommen in die Bewegungen der Tänzer:innen und dann in die Projektion auf der Kuppel vertiefen. Auch die Komposition von Benedikt Brachtel, die extra für das 360° Raumklangsystem des Planetariums konzipiert wurde, zieht in den Bann der Aufführung.
Menschliche und künstliche Intelligenz vereinen sich in einem Tanz. Dabei wirken die Avatare und ihre Bewegungen noch unvollkommen, die Körper stecken irgendwo zwischen Prototyp und fertig ausgebildet. Das ist ein Verweis auf das weite Feld an Möglichkeiten aber auch Gefahren der KI, deren Potenzial endlos erscheint. Die Avatare folgen zwar den Bewegungen der Tänzer:innen und trotzdem haben sie eine eigene Form und einen eigenen Bewegungsraum. Am Ende der Performance bleibt dem Publikum eines: Raum zum Träumen und Entfalten in der digitalen wie in der realen Welt.
Inszenierung: Tobias Staab
Tänzer:innen: Dasniya Sommer, Corey Scott-Gilbert
Projektion: 3D-Designer Luis August Krawen
Motion Capturing/Unity Translation: Warja Rybakova
Komposition: Benedikt Brachtel
Stimme: Sandra Hüller
Konzept & Bühne: Nadja Sofie Eller
Kostüme: Annika Lu Hermann
Licht: Matthias Singer