Du hast Dramaturgie in Leipzig studiert und bist dann Dramatiker geworden. Wie hat sich das ergeben?
Ich komme aus Rostock und habe dort im Theaterjugendclub des Volkstheaters gespielt. Dort habe ich gemerkt, dass ich gerne im Theaterbereich arbeiten würde, konnte mir aber nicht vorstellen, Schauspieler oder Regisseur zu werden. Weil ich damals schon gerne geschrieben habe, wusste ich, dass ich mich mit der Textebene beschäftigen wollte. Als bei einer unserer Proben ein Dramaturg des Hauses zu Gast war, hat er sehr verständlich und nah an der Praxis beschrieben, was er gesehen hat und wo er noch Potenziale sieht. Das war ein Beruf, der zu diesem Zeitpunkt noch völlig neu für mich war. Von da an konnte ich mir vorstellen, Dramaturgie zu studieren. In Leipzig habe ich dann die Aufnahmeprüfung absolviert und studiert. Das Studium war immer eine sehr enge Arbeit am Text. Parallel dazu habe ich die Praxis gesucht und bin so sukzessive von der Dramaturgie in die Dramatik gerutscht. Es hat mich sofort sehr fasziniert, zu Hause auf dem Papier allein zu “probieren”, auch sofort wieder löschen zu können – und die fertigen Texte dann schließlich in der Probe den Schauspieler:innen zu zeigen.
Gab es für dich ein initiales Text- oder Theatererlebnis, das diese Faszination für das Schreiben ausgelöst hat?
Das lag unter anderem auch an der Beschäftigung mit René Pollesch als Autor, der seine Stücke ausschließlich selbst inszeniert. Seine Perspektiven auf nicht-figuren-gebundene Sprache fand ich sehr interessant, auch dass seine Arbeitsweise immer dahin geht, neue Stücke zu schreiben, nicht die Klassiker zu bearbeiten. Ich habe gemerkt, dass mich Texte interessieren, die stark mit dem Jetzt agieren. Mit jedem Stück, das ich schreibe, versuche ich auch etwas zu bearbeiten, das neu für mich ist, einen neue Form, einen neuen Ansatz. Sonst habe ich das Gefühl, mich und das Publikum zu langweilen.
Woher kommen deine Impulse und Ideen für Neues, womit beschäftigst du dich?
Es gibt diese alte Weisheit, die ich beherzige: „Write about what you know”, also „schreib über die Dinge, die du kennst.” Naiv betrachtet wird dann nur noch über das eigene Leben geschrieben, was in der Literatur derzeit tatsächlich sehr beliebt zu sein scheint. Für mich ist dabei eher von Bedeutung, dass ich gedanklich immer von den Dingen komme, die mich viel beschäftigen und stellenweise auch wütend machen. Manchmal geht das zum Beispiel von einem Nachrichtenartikel aus, den ich gelesen habe. In meinem letzten Stück “Zähne und Krallen” geht es um diskriminierende Statuen und Diskriminierung im öffentlichen Raum. Hier in Hamburg wurde besonders wegen einer sehr berühmten Bismarck-Statue viel über Bismarcks Verhältnis zur kolonialen Vergangenheit von Deutschland diskutiert. Wenn ich feststelle, dass es in der Gesellschaft und mir selbst verschiedene Gedanken, Gefühle und Positionen zu einem Thema gibt, aus denen Konflikte entstehen, wird es für mich als Theaterautor interessant. Nichts ist schlimmer, als wenn man so oder so weiß, dass zu einem bestimmten Thema alle Beteiligten dieselbe Meinung haben und es im Stücktext dann nur darum geht, diese Meinung zu präsentieren.
Du lässt dadurch, dass du für die Figuren in deinen Texten kaum persönliche Attribute festlegst, viel Freiraum für die Inszenierung. Wenn du ein Stück an den/die Regisseur:in “übergibst”, bist du als Dramatiker erstmal raus aus dem Prozess, wie inszeniert wird.
Was natürlich auch gut ist. Kurioserweise stellen Menschen, die man nach einer Premiere trifft, häufig die Frage: “Und, ist es so inszeniert worden, wie du es dir vorgestellt hast?” Wie ich es mir vorgestellt habe, ist aber vollkommen egal. Es geht darum, ob der/die Regisseur:in versteht, was der Text ausdrücken will und wie der Zugang ist. Wie die Figuren aufgestellt sind, wie deren Konflikte ausgetragen werden und wie es dann am Ende inszeniert wird, das ist absolute künstlerische Freiheit. Es ist nicht mein Job, Regisseur:innen zu sagen, wie sie inszenieren sollen. Auch wenn ich eine textliche Vorstellung habe, bin ich letztendlich immer wieder von der Fantasie der Regisseur:innen fasziniert. Ich sage stets zu allen Leuten, mit denen ich arbeite: “Ich kann so viel an eurem Prozess beteiligt sein, wie ihr mich braucht. Wenn es offene Fragen zum Text gibt, noch Szenen gebraucht werden, dann lasst uns das zusammen machen.” Ich bin sehr für das Ende dieser literarischen Eitelkeiten, was Texte angeht. Und es ist eine schöne Umdrehung der Dynamik, wenn auf einmal viele Menschen zusammen an dem Stoff arbeiten, mit dem man vorher ganz viel Zeit alleine verbracht hat.
Der Beruf Dramatiker:in hat sehr vielfältige Wirkungsbereiche. Wo fängt deine Arbeit an und wo hört sie auf?
Anfangen tut sie in dem Moment, in dem man eine neue Idee hat. Nicht jeder Gedanke wird zwangsläufig zu einem Stück. Vielleicht wird aus der Idee eher ein Gedicht, ein Prosatext oder sogar ein Roman. Dann beginnt man, zu recherchieren. Das ist eigentlich immer mein Lieblingsteil, weil ich da am meisten lerne, auch über mich und wie meine Perspektiven auf bestimmte Konflikte sind. Dann versuche ich, alle Positionen der Figuren abzustecken und auf Herz und Nieren zu prüfen. Das ergibt für mich die grundlegende dramatische Situation. Der nächste Weg ist, aus diesen Perspektiven eine Dynamik zu entfalten. Ich finde es gut, wenn alle Figuren im Antagonismus zueinander stehen und es nicht eine Hauptfigur und einen Antagonisten gibt. Effektiv spielt sich die Erzählung sonst wie ein Marvelfilm aus – dann kann das Publikum bereits erahnen, wie es am Ende ausgeht. Die Art und Weise, wie wir als Menschen Themen betrachten, ist sehr komplex und ich mag die Idee, das genauso in Theatertexten abzubilden. Es gibt ja kaum Personen, die sich für Bösewichte halten. Niemand sagt: “Stimmt, meine Meinung ist schrecklich und ich bin ein ziemlicher Arsch.” Wenn ich alles sortiert habe, versuche ich, einzelne Szenen zu schreiben, eine erste Fassung durchzubauen und diese an Menschen zu geben, deren Kritik ich sehr schätze. Die Umsetzung der Kritik ist der letzte und manchmal auch der aufreibendste Part, aber auch der Arbeitsschritt mit dem meisten Wachstumspotenzial für mich als Autor. Wenn Schauspieler:innen mir spiegeln, dass ihnen das Gefühl oder Interesse für eine Figur fehlt, dann habe ich etwas falsch gemacht und muss umdenken. Denn im Endeffekt läuft es ja ganz klar darauf hinaus, dass Schauspieler:innen auf der Bühne stehen und die Texte spielen, die ich geschrieben habe.
Wie ist das Verhältnis von Stückaufträgen und deinem “alleinigen” Stücke schreiben ohne Auftrag?
Hälfte Hälfte tatsächlich. Zum Beispiel war “Zähne und Krallen”, mein letztes Stück, ein Auftragswerk für das Theater in Heidelberg. Bei Aufträgen ist natürlich schön, dass man kollaborativ im Gespräch mit verschiedenen Parteien ist. Dadurch ist man nicht sehr lange alleine mit dem Text. Genauso hat aber auch dieses „alleine arbeiten“ große Vorteile, weil man sich mehr Zeit für Themen nehmen kann, ohne an einem Abgabetermin konkret etwas vorzeigen zu müssen. Man braucht nur ein offenes Word-Dokument und kann einfach loslegen, was das Schreiben zu einem der niedrigschwelligsten Bestandteile des Theaters macht. Für viele Autor:innen ist das aber nicht die Lebensrealität. Klar, man hat die Freiheit, zu schreiben, aber das heißt trotzdem auch, dass man nebenbei noch essen muss. Während man beim Stückauftrag, je nachdem wie gut er bezahlt ist, finanziell unabhängiger ist. Das ist vielleicht sogar einer der größten Vorteile.
Schreibst du parallel an verschiedenen Texten und wie weit kannst du im Voraus planen?
Ich kenne Autor:innen, die wunderbar gleichzeitig an mehreren Stücken schreiben können. Für mich ist es schwieriger, mehrere Stücke parallel in einer Phase zu haben und für diese parallel zu recherchieren oder Figuren zu schreiben. Wenn, dann geht das eher in unterschiedlichen Stadien. Zum Beispiel bin ich gerade in der sehr frühen Recherche für einen Stücktext und gleichzeitig in der Korrekturphase von einem anderen Stück, das ich sehr intensiv überarbeite. Planen kann ich gerade etwa ein Jahr im Voraus, was mir persönlich reicht. Ich habe außerdem in den letzten Jahren gelernt, mir selbst ein wenig mehr Luft zu lassen. Früher, im Studium, habe ich mich wirklich zugeschüttet mit Arbeit. Jetzt lasse ich immer ein paar Lücken offen, falls ich eine Anfrage für ein tolles Projekt bekomme, an dem ich unbedingt arbeiten möchte. Wenn man im Voraus seinen kompletten Zeitplan zubaut, gerät man bei Überraschungen und Verschiebungen in eine sehr ungesunde Routine.
Wie ist der Austausch unter Dramatiker:innen, gibt es Drucksituationen oder herrscht da eher ein Miteinander?
Das ist eine Frage der Perspektive und der Persönlichkeit. Ich liebe es, diesen intensiven Austausch zu haben und Kolleg:innen zu fragen, “wie war das damals, als du dich um einen Verlag beworben hast”, oder “wie schreibt man eine gute Einreichung für einen Wettbewerb?” Andere Autor:innen, die länger im Beruf sind, haben mir auch auf diese Weise geholfen. Ich bin ein großer Verfechter von Solidarität, das ist für mich eine der wichtigsten Sachen überhaupt. Das ist so ein Trugschluss, den man nicht nur im Theaterbereich manchmal entwickelt, dass man selbst schneller wird, wenn man einer anderen Person ein Bein stellt. Das stimmt ja nicht. Man hat einfach nur einer anderen Person ein Bein gestellt. Wenn wir gemeinsam im Austausch miteinander das Arbeitsfeld nach vorne bringen, gewinnt im Endeffekt immer die Sache an sich, nämlich die Dramatik.
Peter Thiers Tipp für zukünftige Dramatiker:innen: Ich finde, dass die Stoffe, die einen inspirieren, auch immer viel über das eigene Schreiben erzählen. Deswegen ist meine generelle Empfehlung, so viele aktuelle Dramen wie möglich zu lesen (viele Verlage veröffentlichen regelmäßig große Sammelbände), um sich ein eigenes Päckchen an Vorlieben zu schnüren. Die größte Inspiration war für mich stets Sarah Kane, und sie ist auch nach wie vor die Autorin, zu der ich am meisten zurückkehre. Die fünf Theatertexte, die sie verfasst hat, strotzen nicht nur vor Kraft, sondern weisen formal eine so große Diversität auf, dass jeder Text einen ganz eigenen Blick auf das dramatische Schreiben ermöglicht. Sie ist eine Autorin, die in jedem ihrer Texte eine ganz unterschiedliche Handschrift gezeigt hat – eine enorme Qualität. Wolfram Lotz ist ein Autor, der mich begeistert, da er immer wieder meinen Blick auf das Theater als Ort selbst herausfordert. Rebekka Kricheldorf ist eine großartige Dramatikerin der Komödie – immer, wenn es mich zu diesem Genre zieht, kehre ich zu ihren Texten zurück.