Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin geht die Reise meines Lebens? Der Jugendclub „Spieltrieb“ hat sich am Theater Duisburg diesmal die großen Fragen des Menschseins vorgeknöpft. Nachdem zuletzt Klassiker wie „Woyzeck“ und Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ auf dem Spielplan des jungen Ensembles standen, haben sich die Schauspieler:innen jetzt an eine eigene Produktion gewagt.
Die 17- bis 23-Jährigen haben das Stück als Team erarbeitet. Unter der Regie der Theaterpädagog:innen Jule Pichler und Steven Wind haben sie aus literarischen Texten, Liedern, Gedichten und persönlichen Empfindungen einen berührenden Theaterabend kreiert.
Sie brauchen nicht viel an Requisiten, um ihre Geschichten zu erzählen. Ein Vorhang, ein paar kräftige Seile, die von der Decke hängen und zu einem Baum verknotet werden, auf den man sogar klettern kann. Intendant Michael Steindl, der künstlerische Leiter des Schauspiels am Theater Duisburg und Gründer des Jugendclubs, packt mit an. Er kümmert sich gemeinsam mit Felix Daus um die Beleuchtung. Ein wichtiger Job, denn die Lichteffekte gliedern die Szenen, aus denen sich die Botschaft des Stücks zu einem emotionalen Finale entwickeln wird.
Kein Klamauk
Die Reise zu den Wurzeln des Lebens beginnt mit rhythmischem Fingerschnipsen und dem heiteren Frühlingslied „I like the flowers“. Dazu stülpen sich die elf Spieler:innen urkomische Blumenmasken über die Gesichter und ernten gleich zu Beginn Lacher aus dem Publikum. Doch der Eindruck, dass ein klamaukig unterhaltsamer Abend folgt, täuscht. Nur kurze Zeit später werden die Elf in die Rollen von streitenden Müttern und Vätern schlüpfen und unschöne Kindheitserinnerungen lautstark aus sich herauslassen.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das im Foyer III unter dem Dach des Theaters entsteht und die Zuschauenden ordentlich aufwühlt. Die keifenden Eltern zum Beispiel müssen sich mit den Erinnerungen an Glück, Vertrauen und Liebe messen, die zur Sprache kommen. In der nächsten Szene werden Fragen wie „Was bin ich eigentlich für dich?“ gestellt und bittere Erkenntnisse formuliert: „Ich stecke in meinen Rollen fest, die ich nicht haben will.“
Die Spieltrieb-Schar macht ihre Sache professionell, selbstbewusst und ausdrucksstark. Die große Stärke ist, dass sie ganz natürlich spielen. Man muss sich daran erinnern, dass hier Laien auf der Bühne stehen. Manche von ihnen zum allerersten Mal. In jedem Augenblick ist zu spüren, wie viel Freude sie alle haben.
Ein Rausch
Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Die Schauspieler:innen hangeln sich auf ihrer Suche nach den eigenen Wurzeln und denen des Lebens an Themen wie Familie, Beziehungen, Vergänglichkeit und Natur entlang bis hin zum geologischen Zeitalter Anthropozän samt Klimakatastrophe. „Ich habe mir das Ende irgendwie anders vorgestellt“, lautet die lakonische Feststellung, als der Planet Erde kurz vor dem Kollaps steht.
Das Regie-Duo verpackt die inhaltliche Vielfalt in ein Konzept, das die einstündige Vorstellung wie einen Rausch vorüberziehen lässt. Sie lassen die Akteur:innen mit harmonischer Stimmgewalt im Chor sprechen. Eine Sonderrolle spielt Felia Weigelt, die als Fabelwesen mit Poesie, Humor und Geige durch den Abend führt. Es wird viel gesungen und Jannis Clemens setzt sich immer wieder ans Klavier.
„Ein Abend wie ein Garten: mit Knospen, Blüten und Unkraut“ — so steht es im Programm. Und genauso ist es auch. Irgendwann gibt es diesen Moment, in dem eine der Spielerinnen beschreibt, wie sich ein kleines, aber starkes Pflänzchen den Weg durch den Asphalt der Großstadt bahnt. Ein Funken Hoffnung, der mit dem Abschlusslied entflammt. „Alle fragen, was will ich werden, niemand fragt mich, wer ich bin“, singen sie im Chor und beschließen die beeindruckende Vorstellung mit einem Refrain voller Optimismus: „Irgendwann blühe ich schon auf. Irgendwann blüht alles auf!“
Nach dem langen Applaus werden im Publikum Tränen aus den Gesichtern gewischt.