Am Theater Junge Generation Dresden begeistert die Uraufführung des Jugendstoffes „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“.
Premiere: 25. Januar 2020
Eine Zeit, die lange her zu sein scheint, sehr lange her. Wer denn würde heute wegen pinkfarbener Haare bedroht? Wer muss um sein Leben fürchten, weil er die falsche Musik hört oder darauf besteht, seine Freunde selbst auszusuchen? Mimi hat sie erlebt, diese Zeit. Die heute erwachsene Frau erzählt ganz plastisch, wie sie in der Deutschen Demokratischen Republik groß wurde, wie sich für sie und ihre Familie der Mauerfall anfühlte und was danach kam: Neonazis bedrohten sie und ihre Freunde. Weil sie pinke Haare hatte, die falsche Musik hörten und eine Clique waren.
Mimis Erinnerungen enthält das Jugendbuch „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“, dessen Uraufführung (Regie: Nils Zapfe) sich das Theater junge Generation in Dresden sicherte. Darin verarbeitet die Autorin Manja Präkels ihre eigenen Erfahrungen aus der brandenburgischen Kleinstadt Zehdenick. Hier wächst auch Mimi auf, die 1974 geboren wird, also zu DDR-Zeiten. Sie erzählt von der Pionierorganisation, die ihre Mutterorganisiert. Die ist Lehrerin und glaubt an das sich sozialistisch nennende System. Der Vater leitet eine staatliche Verkaufsstelle. Behütet klingt die Kindheit in der Erzählung. Eine erste Freundschaft entsteht zu dem etwas älteren Oliver, den Mimi an der Havel beim Angeln trifft. In der Schule gibt‘s manchmal Ärger oder Klassenkeile – Mimi findet das aber normal. Alle Normalität endet, als die Mauer fällt.
Dieser erste Teil der Erinnerungen illustriert die Inszenierung, indem Mimi auf der Bühne weiße Stoffbahnen zusammensucht. Sie hängt diese im sonst leeren Raum auf, spannt und verknotet sie. Mimi wird von vier Darstellerinnen gespielt, die schwarze Hosen und schwarze Blousons tragen. Um Schwarz-und-Weiß-Denken dreht sich auch Vieles, von dem Mimi berichtet. Die Spielerinnen sprechen mal abwechselnd, mal gemeinsam im Chor, während sie die Stoffbahnen prüfen und verknüpfen. Diese symbolisieren ihre Erinnerungsfetzen, die Mimi zur Erzählung verbindet.
Beim Mauerfall und dem Trauma der Wendezeit angekommen, löst Mimi alle Knoten, räumt die Bühne auf. Der nun schwarze Raum spiegelt, wie das Weltbild vieler DDR-Bürger wankt, sich das sichere staatliche Versorgungsnetz auflöst. Er ist das Nichts, vor dem sich viele stehen sehen. Dieses steht auch für die Neonazis, ihre Springerstiefel und Bomberjacken und das Schwarz der SS-Uniform, mit der einer von ihnen durch die Straßen stolziert. Mimi und ihre Freunde können deren Gewalt wenig entgegensetzen, die tödlich endet. Die schwarze Leere symbolisiert auch, dass sie auf sich gestellt sind. Denn selbst die Polizei lässt Mimi bei einem rechten Angriff im Stich. Von den Eltern hören sie nur: „Ihr dürft halt nicht immer provozieren!“ Als ob bunte Haare eine Ausrede dafür sind, verdroschen zu werden.
Und das auch noch von ehemaligen Mitschülern und Freunden. So verwandelt sich Oliver vom angelnden Kumpel in einen Neonazianführer verwandelt und Hitler genannt wird. Mit ihm hat Mimi einst jene Schnapskirschen gegessen, die der Titel erwähnt. Die traumatischen Erlebnisse, die Gewaltorgien werden drastisch erzählt, aber nicht ausagiert mal als eine Art zappeliger Reigen, wie eine Revue, bei der eine Erzählerin Tanzeinlagen beimengt.
Bittere Erfahrungen kommen schwungvoll auf die Bühne, der Abend ist auch ein Erlebnis. Darum findet sich auch allerlei Humor, zum Beispiel wenn ein damalige Bundeskanzler namens Helmut Kohl wie mit Knödeln im Mund Versprechungen vom Wirtschaftswunder macht. „Die Menschen sollen sich keine Saumägen machen, ähm ich meine Sorgen.“ (Saumagen war Kohls Lieblingsspeise.) Es wird kurz getanzt, rumgezappelt und seltsame Figuren mit roten Fransenmasken treten auf. Hier ist viel Spiel dabei, damit das Stück für ein Publikum ab 14 Jahren nicht zum langweiligen Textaufsagen wird. Diese häufige Gefahr, wenn ein Roman auf die Bühne kommt, ist dadurch gebannt. Diese Buchumsetzung ist durch die vielen erzeugten Bilder gelungen. Ab Mitte der Inszenierung übernehmen die Darstellerinnen Rollen in kleinen Spieleinlagen. Auf diese Weise wird die Darstellung szenischer, werden Dialoge lebendig. Das wird die zum ersten Mal verknallte Mitschülerin augenklimpernd und schmachtend gezeigt. Haben die Macker in der Disko „Sackratten“, kratzen sie sich im Schritt.
Dieses Illustrieren zieht das ernste Thema der Inszenierung nicht ins Lächerliche. Man leidet mit Mimi. Der Abend funktioniert auch für Jüngere, weil sie nicht jede historische Anspielung kennen müssen, um trotzdem ein Grundgefühl für die damalige Situation zu bekommen. Mimi findet ihre Rettung, indem sie nach Berlin. Ist das lange Zeit her? Gibt es Parallelen zu Heute? Solche zu entdecken oder auch nicht, bleibt Aufgabe des Publikums. Und das könnte die starke Inszenierung auch als Warnung verstehen.