Come on dance with me
Während des jährlich stattfindenden Impulstanz-Festivals dreht sich einen Monat in der Theaterstadt Wien alles um den Körper, Bewegung und Performance. Symposien, Ausstellungen und Workshops laden zur Erkundung der zeitgenössischen internationalen Tanzszene ein.
„Come on dance with me“ ist wahrscheinlich eine der am häufigsten wiederholten Textzeilen, bei der wohl jeder von uns einen eigenen Sound im Ohr hat. Ob in „Prettiest Virgin“ des französischen Synth-Pop-Duos Agar Agar, bei Frank Sinatra oder in „The Age of Love“ der gleichnamigen 90er-Jahre-Tranceband, gemein ist ihnen der Glaube an die befreiende Kraft des Tanzens. Im Vordergrund steht jedoch nicht allein das Loslassen, sondern immer auch die Aufforderung zur Kommunikation durch körperlichen Ausdruck. Tanz als Form für das vielleicht auch Unsagbare?
Während des jährlich stattfindenden Impulstanz-Festivals dreht sich einen Monat in der Theaterstadt Wien alles um den Körper, Bewegung und Performance. Symposien, Ausstellungen und Workshops laden zur Erkundung der zeitgenössischen internationalen Tanzszene ein. Tanzgeschichte trifft auf den choreographischen Nachwuchs. Zu sehen war das 1998 uraufgeführte Stück „Masurca Fogo“ des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, alle vier Arbeiten der „Red Pieces“-Reihe von Mette Ingvartsen oder das in der letzten Woche ausstehende „Go Figure Out Yourself“ von Ultima Vez. Gezeigt werden auch Produktionen des Nachwuchs: etwa „Radiant Optimism“, die erste choreographische Arbeit des Tänzers Frank Willens.
Bespielt werden nicht nur das Burgtheater oder die Staatsoper, sondern auch die Museen. Die Gruppe Liquid Loft um den österreichischen Choreograph Chris Haring quält sich durch die leeren Räume des Untergeschosses im Leopold Museum. Mit dem beim Impulstanz-Festival uraufgeführten „Stand-Alones (polyphony)“ für acht Tänzerinnen und Tänzer gelingt eine Untersuchung zerrissener Persönlichkeiten, die Unsicherheiten offen legt. Ferne Ballmusik ertönt leise im hohen Eingangsraum, während das Publikum anfangs noch unentschieden nach einem Platz und der Performance sucht. In acht Räumen trifft man jeweils auf eine Tänzerin oder einen Tänzer, die mithilfe von iPods Musik über kleine Bluetooth-Boxen steuern. Andreas Berger arrangiert Soundschnipsel, gesprochene Erzählungen und rückwärts abgespielte Stimmen in eine verwirrende Klangcollage. Die meiste Zeit bewegen sich die Perfomer an den Wänden entlang, hängen regelrecht zwischen ihnen in die Ecken gedrückt und wirken dabei doch nie ausgestellt. Die Verdrehungen ihrer Körper, ihre Fratzen erscheinen nicht beängstigend, aber in ihrer Dringlichkeit, sich zu positionieren, verstörend. Wenn Dong Uk Kim seinen Rücken beugt und seine langen Arme verrenkt, werden die im oberen Stockwerk des Museums hängenden Bilder von Egon Schiele körperlich erfahrbar. Zunächst unabhängig voneinander agierend, trägt der Sound Wiederholungen durch die Räume, durch die ein gemeinsamer Bezugsrahmen entsteht. Beim fulminanten Ende finden sich alle Tänzerinnen nach und nach im Eingangsraum zusammen. Ihre Bewegungen beschleunigen sich mit der lauter werdenden Musik, die Arme fliegen hoch, die Körper winden sich. Sie werden zu Boden gerissen, richten sich wieder auf und münden in ein ekstatisches Gruppenbild von mit sich kämpfender Individuen. Mit tosendem Applaus erlösen die Zuschauerinnen und Zuschauer sich und die Performer.
Begeistert zeigt sich auch das Publikum bei der Vorstellung des 2018 erschienenen Musikalbums „Powerhouse“ von Planningtorock aka Jam Rostron. Beeinflusst durch Künstlerinnen wie Peaches steht Planningtorock für poppige Elektrosounds und einen musikalischen Diskurs über Geschlechtsnormen. Gemeinsam mit Choreograph Ian Kaler entwickelte Planningtorock außerdem die zuvor im Leopoldmuseum gezeigte Performance „Raw Practice“. Jam Rostrom selbst versteht sich weder als Frau noch als Mann. Positiv fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit der nicht normierte Körper und Geschlechtsbilder auf der Bühne zu sehen sind. Die Liveshow bewegt sich zwischen Konzert, Tanzperformance und Videoshow. Entstanden ist ein sehr persönlicher Abend über Jam Rostrons Familie, der emotional berührt.
Die Ausstellung „Come on! Dance with me“ in der Galerie Ostlicht zeigt Fotos der beiden Fotografinnen Karolina Miernik und Emilia Milewska, die das Festival seit Jahren dokumentieren. Mit der Kamera fangen sie sowohl ruhige Porträts, als auch von Energie geladene Ensemblefotos von Tanzabenden von Doris Uhlich oder Ismael Ivo, ein. Fotos, die durch einen detaillierten Blick, etwa auf die beanspruchten Fußsohlen der Tänzerinnen, zerbrechliche und starke Momente festhalten. Was bleibt von einem Tanzabend und wie lassen sich ältere Arbeiten erhalten und einfangen, um auch einer nachkommenden Generation einen Zugang zu ermöglichen? Diese Frage stellt sich umso drängender, wenn die Akteure selbst nicht mehr sind. Noch dieses Jahr eröffnete das Festival mit Johannn Kresniks Macbeth-Version. Am 27. Juli verstarb Kresnik. Er prägte den Begriff des Choreographischen Theaters, schuf bildgewaltige Arbeiten und schreckte nicht vor politisch-brisanten Themen zurück.
Während Kresnik als Choreograph bekannt war, der den „Körper in den Kampf werfen“ wollte, hängt die junge Generation am liebsten rum, ist gleichgültig und dem Hedonismus verfallen – ein nicht selten geäußertes Vorurteil gegenüber der Generation, zu der ich selbst gehöre. Ihre ästhetische Entsprechung findet sich im Cloud-Rap von Yung Hurn, Vaporwave [Musik-und Kunstrichtung, im Internet entstanden, Anm. d. Red] und Sneakern. Im Rahmen des 8:tension Nachwuchsprogramms für Choreographie zeigen Ellen Furey und Malik Nashad Sharpe mit „SOFTLAMP.autonomies“ ihre eigene Analyse unserer Zeit. Der in Räucherstäbchen gehüllte weiße Bühnenraum ist leer. Ganz langsam erwacht das Duo, es ist still, die Bewegungen langsam und vorsichtig. Die vor mir eingenickte Zuschauerin schreckt auf, als plötzlich die Stimme des Wiener Rappers Yung Hurn mit der Textzeile „Baby, willst du chillen und so?“ aus dem Lied „Pillen“ ertönt, das in Endlosschleife den musikalischen Rahmen des Abends bildet. Auch sonst gibt es nur kleine Verschiebungen und Änderungen, sei es im Raum, sei es in der Choreografie. Das Licht wechselt nach einer halben Stunde ins Blau und lässt die in weite, weiße geschlechtsunspezifischen Trainingsoutfits gesteckten Körper aufscheinen. In ständigen Loops zeigen die beiden ein synchrones Duett, das sich in den Bühnenraum vorarbeitet, die Spielrichtung zwischenzeitlich wechselt, sonst in der Abfolge aber gleich bleibt. Gemeinsam tanzen sie eine flüssige Aneinanderreihung von Bewegungen, hüpfen viel. Nach einer kurzen Erschöpfungspause, in der sie reglos auf dem Boden liegen, beginnen sie wieder von vorn bis sie sich aus den Zwängen der Synchronität lösen, die Bewegungen entgegengesetzt und versetzt tanzen und am Ende doch wieder zusammenzukommen. Sich von Konformität und Zwängen zu lösen erschöpft. Der intendierte Trancezustand stellt sich nicht wirklich ein, die Inhalte haben sich nach dem vierten, spätestens nach dem fünften Mal auserzählt. Danach läuft die ständige Wiederholung leer. An der choreographischen Übersetzung ästhetischer Internetphänomene in eine reale Bühnensituation muss wohl noch geforscht werden. Auf den Sound von Yung Hurn lässt sich dabei hervorragend aufbauen.
Vielleicht ist der Besuch beim Impulstanz-Festival gerade auch für ein junges Publikum interessant, das allein wegen des Alters manch ältere Produktion nicht erleben konnte oder sich in Workshops selbst ausprobieren will. Dabei fungiert das Festival selbst als kleines Archiv über die Formen der Kommunikationen mit und über unsere Körper, die Geschichten erzählen und spezifische Erfahrungen transportieren.
Info: Das Impulstanz-Festival läuft noch bis zum 11. August in Wien. Zu sehen sind etwa noch die Gruppe Ultima Vez und eine gemeinsame Arbeit von Simone Aughterlony und Petra Hrašćanec. Infos zum Programm und zu den Workshops unter: https://www.impulstanz.com/