„Menschen suchen den Austausch mit uns“
Wetterabhängige Dienstpläne, Hilfeleistungen bei Inszenierungen und verplante Silvesterabende. Der Besucher*innen-Service mag nicht der sichtbarste Bereich am Theater sein, aber es ist der, an dem niemand vorbeikommt. Und wenn er nicht so vielfältig wäre, wäre Winnie Rüter nicht seit über zehn Jahren darin tätig.
In dieser Zeit hat die 31-Jährige zig Weihnachtsmärchen gesehen, Eintrittskarten gescannt, Renovierungen miterlebt und auch intern ihre Tätigkeiten am Stadttheater Bielefeld gewechselt. Da mag es nicht überraschen, dass es sie schon früh auf verschiedenen Wegen zum Theater zog. Der Leistungskurs im Darstellenden Spiel an der Schule sowie ihr Engagement als Schüler*innen-Scout für das Stadttheater Bielefeld prägten ihre Jugend. Als Schüler*innen-Scout stellte Winnie Rüter aktuelle Inszenierungen in Lehrer*innen- und Klassenzimmern vor, begeisterte Mitschüler*innen fürs Theater und erhielt im Gegenzug Freikarten und Einblicke hinter die Kulissen. Zudem baute sie „Theko jung“, die Jugendabteilung der Theater- und Konzertfreunde Bielefeld e.V. auf und war dort mehrere Jahre lang selbst aktiv. Mit der Kartenkontrolle im Stadttheater fing Winnie Rüter 2009 an – „mit ganz viel Spaß an der Sache“, wie sie erzählt. Zwischendurch wechselte sie für einige Zeit in die Öffentlichkeitsabteilung und schnupperte in den Kartenverkauf hinein, kehrte aber immer wieder zum Besucher*innen-Service zurück.
Der Besucher*innen-Service am Stadttheater Bielefeld teilt sich in Tätigkeiten am Einlass und an der Garderobe auf. Im Einlassbereich, Winnie Rüters Steckenpferd, werden die Karten der Zuschauer*innen auf ihre Gültigkeit geprüft. Jeder Arbeitstag beginnt eine viertel Stunde vor dem Einlass und dauert 75 Minuten. Sobald Winnie Rüter und ihre Kolleg*innen die Tore öffnen, heißt es, lächeln, Karten scannen und durchhalten. „Wenn man den Blick nach oben wagt und sieht, dass die Schlange bis nach draußen führt, kann man schon kurz Panik kriegen“, meint Winnie. Drei Angestellte – 60 Minuten – 700 Zuschauer*innen – volles Haus. Sätze wie: „Schönen guten Abend. Sie sitzen oben links. Viel Spaß.“, fallen im Sekundentakt. Zuschauer*innen mit Behinderung betreuen, Taxis im Voraus bestellen oder sogar Inszenierungsfragen beantworten, all das kommt hinzu. „Bei so vielen Gästen gibt es immer etwas zu tun.“
Ist der Einlass geschafft, führt der Weg der Besucher*innen zur Garderobe. Die Angestellten hier haben alle ihre eigene Garderobe samt eigener Stamm-Gäst*innen. Mit über 30 Jahren Berufserfahrung sind einige der Garderoben-Damen nicht mehr aus dem Stadttheater wegzudenken. Sobald die Zuschauer*innen den Saal betreten und das Stück losgeht, ist Winnie Rüters Arbeitstag auch schon rum. Doch das Beste kommt meist erst noch.
Theater bedeutet für Winnie Rüter Phantasie, und den Zauber dessen erlebt sie an vielen Abenden nicht nur vor dem Saal. Ist am Abend noch ein Platz frei, darf sie diesen besetzen und schlüpft dann von der Rolle der Angestellten in die der Zuschauerin.
Auch wenn eine Arbeitsschicht sehr kurz erscheinen mag, so verfügt Winnie Rüter mittlerweile über ein ganzes Repertoire an Erlebnissen. Ein besonderes Ereignis, an das sie sich noch gut erinnern kann, ist die Bielefelder Inszenierung „Terror“, bei der das Publikum am Ende des Stückes über Schuld oder Freispruch eines Angeklagten urteilt. Die Angestellten vom Besucher*innen-Service zählten die Stimmen des Publikums in jeder Inszenierung. Ihre Auszählung bestimmte über den weiteren Verlauf des Stücks.
Und auch in der internen Planung gibt es immer wieder Trubel, wenn etwa der Wetterbericht unerwartet Regen oder Sonnenschein ankündigt. Je nach Wetterlage werden mehr oder weniger Garderoben benötigt, sodass Angestellte auch mal spontan einspringen oder zuhause bleiben müssen. Winnie Rüter arbeitet heute hauptberuflich im Online-Marketing, fühlt sich aber im Theater beheimatet und liebt ihre Stelle trotz der späten Arbeitszeiten und Wochenend- oder Feiertagsschichten.
„Wir sind mittendrin und erleben die Anspannung vor jedem Theaterabend aufs Neue“, erzählt sie. „Wenn ich eine der Garderoben-Damen vertrete, bekomme ich auch die Reaktionen nach dem Applaus hautnah mit.“ Die Atmosphäre einer Inszenierung füllt nicht nur den Theatersaal. Sie klingt noch deutlicher im Foyer nach, in den euphorischen, mal wütenden, mal nachdenklichen Gesichtern der Zuschauer*innen, die nach dem Stück aus dem Saal herausstürmen oder noch ein wenig im Theater zum Verweilen bleiben.
Dieses besondere Erleben von Gruppenstimmungen bleibt den vielen Personen verwehrt, die hinter den Kulissen arbeiten. Dennoch stellt Winnie Rüter auch heraus, dass ihre Tätigkeit häufig untergeht. „Leute gehen ins Theater, um eine Inszenierung und Schauspieler*innen zu sehen und nicht um uns zu treffen oder uns ihre Karte zu zeigen. Das gehört dazu, aber es läuft nebenbei. Manchmal fühlt man sich auch einfach, als würde man nerven.“ Winnie Rüter beobachtet, wie in immer mehr Theatern Drehkreuze das Personal am Einlass und Schließfächer Garderoben-Angestellte ersetzen. Dieses Einsparen im Besucher*innen-Service bedauert sie sehr.
„Gäste erzählen uns immer wieder, dass sie froh sind, dass wir Menschen den Einlass hier noch regeln“, sagt Winnie Rüter. „Wir sind im direkten Kontakt mit den Menschen und viele suchen den Anschluss im Theater, den kurzen Plausch, den Austausch mit uns. Auch das sind soziale Komponenten im Theater, und die sollten nicht wegbrechen.“
Weitere Theaterberufe findet ihr unter www.berufe-am-theater.de