Ein Interview mit William Forsythe
Der legendäre Tänzer und Choreograf William Forsythe wurde in diesem Jahr mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Vor der Verleihung hat er der DEUTSCHEN BÜHNE ein Interview gegeben. Hier haben wir das Gespräch noch einmal für euch zusammengefasst.
Es ist Ende August und schon fast ein bisschen kalt im Ruhrgebiet, als Zoom am Nachmittag eine etwas wackelige Verbindung nach Amerika herstellt. 20 Minuten, hieß es, habe der Choreograph William Forsythe Zeit für ein Interview – für ein Gespräch über sein Lebenswerk, seine Pläne, seine Ideale. Dass diese 20 Minuten nicht reichen würden, war im Grunde schon vorher klar. Noch deutlicher wurde es jedoch, als nach zwei Verbindungsabbrüchen und ein paar Forsythe’schen Scherzereien nur noch knapp die Hälfte dieser 20 Minuten übrig war. Seine Frau hätte ein Meeting, erklärte der diesjährige FAUST-Preisträger, und wenn er dann noch bei Zoom unterwegs sei, würden beide Verbindungen abbrechen – seriously, das wolle niemand erleben.
„Ich wohne hier mitten im Wald“, sagte er später, „und seit Februar habe ich diesen Wald nicht verlassen.“ Was im ersten Moment schön klingt, bedeutet für ihn jedoch das Gegenteil: „Das ist dramatisch!“, ruft er aus. „Weil Amerika einen sehr fragwürdigen Ansatz hat, mit dieser Pandemie umzugehen.“ Die verbliebenen knapp acht Minuten reichen gerade, um – zunächst in einem Mix aus Deutsch und Englisch, später komplett auf seiner Muttersprache – über seinen Ruf als Reformator des Balletts zu sprechen und über den Beginn seiner Tanz- und Choreographenkarriere. Es sind noch etliche Fragen offen. Also verabreden wir uns per SMS zu einem weiteren Termin wenige Stunden später – und sprechen gut eineinhalb Stunden miteinander.
„Die Bedingungen des deutschen Theatersystems sind spektakulär!“, schwärmt Forsythe über seine Zeit als Choreograph in Frankfurt. „Viele sind in dieses System hineingeboren und darin aufgewachsen und sehen die Vorteile nicht, die es ihnen bietet. Ich meine das ganz ehrlich: Ich in ein Produkt der Vorteile, die das deutsche System seinen Künstler*innen bietet. Das gibt es nicht überall.“ Seine Bescheidenheit erstaunt mich. „Es ging mir nie darum, mich selbst oder meine Werke repliziert zu sehen“, sagt er über die Motion Bank, ein Notationssystem für Choreographien. „Meine Vorstellung des Projekts war schlichtweg eine Frage: Sind digitale Medien eine Zukunft für unsere Arbeit? Und diese Frage ist jetzt beantwortet – ja, sind sie.“
So kritisch manche Künstler*innen und Kritiker*innen den Umzug vieler Theater auf gestreamte Angebote auch wahrnehmen, so offen steht William Forsythe dieser Entwicklung gegenüber: „Alle Compagnien und Theater sind ohne zu zögern online gegangen, haben ihre Bühnen als Filmstudios genutzt. Das ist eine sehr gute Richtung, wie ich finde. Die Tänzer*innen bleiben in Bewegung, und man kann extrem viel machen.“ Mehr noch: „In Zukunft entwickeln sich die Aufnahmen, die die Theater produzieren, vielleicht zum ästhetischen Paralleluniversum.“ Diese Vorstellung kann man nachvollziehen, wenn man versucht, Forsythes Ansatz an das Ballett an sich nachzuvollziehen: Das Ballett, erklärt er, sei kein einfacher Tanzstil, sondern eine Sprache. Am Ende, sagt er, gehe es darum, „ob jemand die Grammatik des Balletts erfasst und verstanden hat. Das Ballett als Sprache hat ein Vokabular und eine Grammatik, und jeder, der in dieser Sprache schreiben kann, wird sie weiterentwickeln.“ Und das, kann man schließen, ist auch in Corona-Zeiten möglich – mit Proben, Aufführungen und Interviews über Zoom.