Lustig und dabei ehrlich sein. Stolpern, hinfallen und wieder stolpern. Sich selbst nicht ernst nehmen. So kennen oder besser gesagt kannten wir den Clown. Denn so etwas, schätzen Regisseurin Charlotte Lorenz und Regisseur Jakob D’Aprile, will heute niemand mehr sehen. Es sind immer Geschichten über Erfolge, die selbst erfolgreich sind. Oder wollen wir das Thema Scheitern deshalb nicht mehr so nah an uns heranlassen, weil uns die Dinge zu oft selbst entgleiten?
Den Clowns begegnen wir in „Das Leben ein Clown“ in Begleitung von Joy. Joy ist eine Influencerin, die ihr #StayatHomeGirlfriend-Dasein erfolgreich auf Social Media zu vermarkten weiß – Kochen, Putzen, Beauty, Selfcare. Frisch verlobt, weiß verschleiert und mit einem großen Ring am Finger eröffnet Schauspielerin Carolina Braun die Bühne und hält mit ihren amüsanten Ausführungen über das perfekte #GettingReadyforWedding schon einige Lacher für das Publikum bereit (Joy ahnt wohl noch nicht, wie viel Clown in ihr selbst steckt). Quasi aus dem Selfie-Modus heraus erklärt uns Joy, dass sie in diesem Moment vor dem Haus steht, das ihr Vater zusammen mit ein paar Freunden besetzt. Denn – Überraschung! – Joy braucht ihren Vater gerade trotz langem Kontaktabbruch ganz dringend. Wer soll sie sonst am Hochzeitstag zum Altar führen? Aber es gibt ein mittelgroßes Problem: Ihr Vater führt mit seinen Besetzungsfreunden ein besonderes Leben. Ein Leben als Clown. Hätte der Titel des Stückes es nicht schon verraten, gäbe es bereits zu Beginn eine unerwartete Wendung in der Handlung. Eine Influencerin und ein Haufen Clowns, wie passt das zusammen?
Eine Influencerin und ein Haufen Clowns, wie passt das zusammen?
Die Clowns, die jetzt auftreten, das sind: Severin Le Magnifique (Jonas Dumke), Rine (Stefanie Rösner) und Gelsomino (Luc Schneider). Naja, Gelsomino ist noch dabei, „sich selbst als Clown zu versuchen“, denn eigentlich ist er Literaturwissenschaftler an einer Universität. Severins leicht überhebliche Art, Rines im Zaum gehaltener Jähzorn auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt und Gelsominos niedliche (jawohl, niedlich) Unsicherheit passen gut zusammen. Sie sind lustig. Aber: sie haben auch Charakter. Und verzweifelte Träume. Denn schließlich ist auch ihnen nicht entgangen, dass Clowns kaum noch gefragt sind. Endlich lässt sich auch Flip (Thomas Hamm), der Vater von Joy, blicken. Mit kalkweiß geschminktem Gesicht und heruntergezogenen Mundwinkeln verkörpert er die traurige Seite der vierköpfigen Gruppe – trotz Seifenblasen.
Obwohl sie sich auf einige Ausflüge in die Finessen der Clowns-Kunst einlässt, bleibt Joy bei ihrem Plan: Flip für ihre Hochzeit gewinnen. Da der diese Rolle aber nicht einnehmen will, versucht sie, die Gruppe aufzumischen. Das gelingt ihr gut – aber nicht auf eine Weise, die sie sich vorgestellt hat. Joy bringt Leben in die Gruppe, nutzt Severin Le Magnifiques Eitelkeit, um ihn zum „Clownfluencer“ zu machen, und spornt Rines Wunsch an, eine eigene Clownsschule zu eröffnen. Sogar die Gefühle, die Severin und Gelsomino füreinander entwickeln (aber nicht ansprechen) bleiben Joy nicht verborgen. Es folgt eine Dating-Szene zwischen zwei Clowns, die witziger nicht hätte ausfallen können.
Ernüchtert werden alle immer wieder von Flip. Auch Joy kann ihr geübtes Influencer-Lächeln und ihr energisches Auftreten – flapp flapp, machen ihre High Heel Boots auf dem Bühnenboden – nicht mehr lange aufrechterhalten. Was passiert mit der liebenswerten Clownsbande, die sich in ihren schillernden Gewändern (Kostüm: Josefin Kwon) und mal mehr mal weniger zerlaufener Schminke auf einen kleinen Topf mit Kartoffelsuppe stürzt, weil sie tagelang kein Geld für Essen auftreiben konnte? Sie leben einen Traum, der sich langsam der Realität stellen muss. Joy, der die Gruppe immer mehr ans Herz wächst, versucht mit Flipchart bewaffnet Tipps zum Geld verdienen zu geben. Schließlich kennt sie sich als Influencerin aus. Doch die Gruppe hält fest an ihren Prinzipien, während Joy sich immer mehr bewusst wird, wie ähnlich sie den Clowns in Wirklichkeit ist.
Der Clown ein Spiegel
„Der Clown ist eine mystische Figur, Vermittler, Weltenwandler, ein Schamane“, fasst Regisseur D’Aprile den Clown in einem Interview im Programmheft in Worte. Die Rolle des Clowns befand sich schon immer am Rande der Gesellschaft, finden beide Regisseur:innen. Lorenz und D’Aprile gelingen ausgeklügelte Charaktere, in die wir gerne eintauchen und die wir während guten anderthalb Stunden Spielzeit immer mehr kennenlernen. Es wird mit Video, projiziert auf Gazestoff, und wechselnden Kulissen gearbeitet. Also ja, wir durchbrechen irgendwann die Mauern der Clownsfestung, die Joy zu Beginn verschlossen bleiben.
„Clowns sind Gegenteiler“, stellt Joy im Laufe des Abends fest. Sie wollen belustigen, aber auch trösten und der Welt einen heilsamen Spiegel vorsetzen. So, wie sie der Gruppe einen Spiegel vorsetzen wollte, ist es ihr am Ende selbst widerfahren. Kritik am kapitalistischen Werkeln der Influencer kann ganz klar aus der Inszenierung gelesen werden. Deutlich wird aber auch ein Zeichen gegen das verbreitete Bild gesetzt, das alles, was Influencer so treiben, Spaß und Freizeit ist. Das Lächeln in Joys Gesicht bröckelt. Aber die Liebe zur (traditionellen) Rolle des Clowns, des Neugierigen, des Spaßmachers und des Scheiternden, der aber trotzdem so wichtig für unsere Gesellschaft ist, wird großgeschrieben. Vielleicht ein Aufruf dazu, sich ein wenig Clown über die Karnevalszeit hinaus zu bewahren.
Wie das Schicksal der Clowns-Gruppe ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Und Joy? Tja, die will immer noch ganz dringend und unbedingt heiraten. Aber psst: vielleicht mit großer roter statt mit gepuderter Nase.
Johanna Demory ist 25 Jahre alt und hat Kommunikationswissenschaften an der RWTH Aachen studiert. Sie interessiert sich für Literatur und Poesie und liest mit großem Eifer Gedichte, Klassiker und Theaterstücke. Egal, wohin unterwegs, es müssen immer mindestens zwei Bücher mitkommen. Neben dem Studium arbeitete sie für die Aachener Zeitung, wo ihre ersten Theaterkritiken erschienen.