Deutscher Theaterpreis DER FAUST 25.11.2023 Hamburg Thalia Theater Foto: Krafft Angerer ka@krafft-angerer.de

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Die Preisträgerinnen des Deutschen Theaterpreises „DER FAUST“ Wicki Bernhardt und Janna Pinsker

Janna Pinsker und Wicki Bernhardt (PINSKER+BERNHARDT) haben den diesjährigen Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie „Darsteller:in Theater für junges Publikum“ gewonnen. Im Interview erzählen Janna und Wicki von gesellschaftlichen Merkwürdigkeiten, wer alles Teil ihres menschlichen und nicht-menschlichen Duo-Kollektivs ist und wie sie in ihren Stücken Themen und Phänomene dekonstruieren.

Foto oben: Krafft Angerer
Beitrag von: am 01.12.2023

Mit der Limonadenflasche flirten

 

Was würdet ihr sagen, ist eine Stärke von eurer Arbeit?

Wicki: Eine Stärke liegt darin, dass wir unsere Stücke selbst entwickeln und gleichzeitig auf der Bühne stehen. Ich habe das Gefühl, dass wir nach einer Haltung suchen, die ein Understatement in sich trägt, das erstmal nichts vom Publikum will. Das empfinde ich als Stärke, denn ich denke, gerade Kinder und Jugendliche werden oft in einer Art und Weise angesprochen, in der Erwachsene was Konkretes von ihnen wollen.  

Janna: In der Jury-Begründung für unseren Preis steht, dass wir als verschworene Einheit auf der Bühne agieren und darüber habe ich mich total gefreut, weil das genau beschreibt, wie Wicki und ich auch arbeiten, nämlich als Duo. Außerdem suchen wir sehr gezielt nach einer anderen Perspektive auf die Dinge in unseren Stücken, die wir machen, und wir denken das manchmal sehr aus dem Materiellen heraus. Also nicht, „Wie könnte man dieses Thema anders beleuchten?“, sondern „Welches Material kommt mit welcher Perspektive?“. Und das ist dann eben nicht nur die Perspektive von Performer*innen wie Wicki und mir sondern eben auch die Perspektive von Räumen und Objekten, mit denen wir zusammen die Bühne teilen. Mit diesen vielfältigen Subjekten versuchen wir uns dann gemeinsam in Beziehung zu setzen.

Gibt es in eurer Arbeitsweise Dinge, die ihr immer wieder neu (dazu) lernt?

Janna: Ich lerne immer wieder viel Neues mit Wicki! Das ist eine richtige Real-Life-Zusammenarbeit. Ich lerne immer wieder, zu verstehen, dass es die ganze Zeit Missverständnisse gibt, einfach weil wir zwei verschiedene Menschen sind, die miteinander agieren. Und das muss man erstmal aushalten, diese ganzen Ambivalenzen in dieser engen Zusammenarbeit auf dieser konkreten Arbeitsebene, wo man so Vieles miteinander entscheidet und für so Vieles gemeinsam verantwortlich ist: von den Finanzplänen zu der Menge an Arbeitsstunden bis hin zur künstlerischen Umsetzung.

Wicki: Das klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber ich finde es auch sehr schön zu merken, dass diese Prozesse, dieses „Ambivalenzen aushalten“, dann auch was hervorbringt, was das auch selbst ein bisschen in sich trägt – ich glaube, unsere Stücke tragen auch selbst Ambivalenzen in sich – das finde ich sehr schön.

Janna Pinsker und Wiki Bernhardt in eine Aufführung der Performance family creatures von PINSKER+BERNHARDT am Künstler*innenhaus Mousonturm in Frankfurt. © Jan Bosch Szene aus „family creatures“ von PINSKER+BERNHARDT am Künstler*innenhaus Mousonturm in Frankfurt. © Jan Bosch

Wenn ihr ein Stück plant, womit beschäftigt ihr euch, was inspiriert euch?

Wicki: Bei uns ist da die Beschäftigung mit Objekten und Räumen. Menschliche und gesellschaftliche Phänomene und Themen verhandeln wir oft im Zusammentreffen von menschlichen Körpern mit nicht-menschlichen Subjekten. Bei unserem Stück „Paare sind feindliche Inseln“ hatten wir uns zum Beispiel vorgestellt, was passiert, wenn sich ein Mensch in eine Limonadenflasche verliebt. Wie kann man da jetzt flirten? Da ist immer eine allererste szenische Idee und mit der fangen wir dann an zu spinnen. Was können wir damit thematisieren oder was hat das mit dem Publikum zu tun? Bei „family creatures“ haben wir uns auch überlegt, was Familie eigentlich genau ist und wie man es zusammen überhaupt aushält. Das war auch ausgehend von der Corona-Situation, wo Familien so aufeinander hockten. Es hat ja auch was mit Zufälligkeit zu tun, wer Familie ist. Man hat sich das ja in den meisten Fällen nicht ausgesucht, in dieser Konstellation so viel Zeit miteinander zu verbringen.

Janna: In der Stückbeschreibung von „family creatures“ haben wir Familie mit Sternchen geschrieben, F*A*M*I*L*Y, um zu zeigen, dass Familie ein Konstrukt ist. Und das beschreibt unsere Arbeitsweise und vielleicht schon die Themenfindung ganz gut, dass wir nach einem Thema suchen und das auf eine Weise dekonstruieren wollen, so dass man merkt, dass etwas wie Familie nicht immer so gegeben, sondern auch gesellschaftlich konstruiert ist. Wir wollen so den Blick auf die Dinge schärfen und das versuchen wir mit viel Weirdness, Humor und einer gewissen Überspitzung zu machen.

Wie verändert das, dass ihr nicht-menschliche Objekte oder auch Räume mit einbezieht, die Art, wie ihr Geschichten erzählt? 

Janna: Das mit der Limonadenflasche haben wir in den Proben auch als zwei Menschen ausprobiert und dabei super schnell gemerkt, dass wenn wir beide miteinander flirten, gleich wieder so viele andere Narrative über Menschen und Emotionen aufkommen. Und am Beispiel der Limonadenflasche konnte man erkennen, wie weird und eigenartig Menschen eigentlich in ihren Verhaltensweisen oft sind. Ich glaube diese Weirdness, die wir auch sehr mögen, und dieses Dekonstruieren von Phänomenen wie Familie – indem man das nur an zwei Menschen sieht, die mit Objekten oder einem Raum agieren –  macht uns viel Spaß und das eröffnet gleichzeitig viele andere Perspektiven, die man nicht hätte, wenn man eben nur mit Menschen arbeitet. Es gibt uns im Produzieren viel Freiheit – und auch in der Rezeption.

Wicki: Das schält die Merkwürdigkeit von Menschen heraus. Man wird so viel nackter, wenn man gegen die Limonadenflasche agiert als gegen einen anderen Menschen. Was ich an „family creatures“ so schön finde, ist, dass es sich auch jeglichen Vorstellungen von Gender entzieht. Wir geben nicht vor, mit wem wir gerade verhandeln. Zum Beispiel gibt es einen Vorhang, Mo, und da gibt es eine Szene, wo der nachts rauskommt und Fernsehen guckt. Und da gab es danach ganz viele Gespräche mit dem Publikum, was für ein Familienmitglied der Vorhang jetzt sein könnte: Ist es der depressive Jugendliche oder ist es vielleicht die Oma, die nachts nicht schlafen kann? Es gibt so viele verschiedene Vorstellungen und Interpretationen, weil wir sie eben nicht vorgeben. Und das macht es für uns total interessant, in diesem Kontext über Familie zu sprechen, denn das Hineinprojizieren kommt dann vom Publikum, das selbst mitgestalten und mitdenken kann, was es da sehen und suchen und verstehen möchte.

Szene aus „family creatures“ von PINSKER+BERNHARDT am Künstler*innenhaus Mousonturm in Frankfurt. © Jan Bosch

Wenn ihr euch jetzt nochmal entscheiden könntet, würdet ihr wieder im Theaterbereich arbeiten wollen?

Janna:  Ich würde es wieder machen – mit Wicki. Es ist nicht immer leicht, der Job und die Umstände sind sehr ungewiss, aber ich würde es wieder machen.

Wicki: Ich bin so dankbar, dass ich das mit Janna zusammen mache. Also wenn ich in der Theaterszene arbeiten will, dann in dieser Konstellation. Dieser Spagat zwischen freier Szene und Stadttheater, den ich schon auch gern mag, geht auch mit viel Unsicherheit und Arbeit einher. Es gibt natürlich aufgrund meines Jobs Dinge, die ich nicht mache oder auch gerne machen würde, aber ich fühle mich auf jeden Fall gut mit allen Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe.

Janna: Wir wünschen uns beide auf jeden Fall für die Szene noch mehr beständige und gute Förderungen, auch Basisförderungen für alles was außerhalb einer einzelnen Produktion steht und was man aber braucht, um in der Szene agieren zu können.

Wicki: Es ist auch unglaublich, dass diese finanzielle Trennung zwischen Theater für Erwachsene und Theater für junges Publikum so stattfindet. Das muss sich ändern.

Ist der Preis dann jetzt nochmal ein Ansporn oder ein Sichtbarmachen? Ändert der was an eurer Sichtweise oder an eurer Art zu arbeiten?

Wicki: Was das genau bedeutet, müssen wir noch rausfinden. Für uns ist es natürlich besonders toll, dass wir als Darstellerinnen zu zweit nominiert waren. Das gibt unserer Performance in „family creatures“ zu zweit, aber auch unserer ganzen Arbeit an sich eine Bedeutung. Wir sind nicht die einzigen, die im Kollektiv oder zu zweit so eng miteinander arbeiten und es ist toll, wenn kollektive Arbeitsweisen und auch die freie Szene beim FAUST-Preis Sichtbarkeit erlangen. Ich sehe da ein bisschen mehr Öffnung zur freien Szene hin.

Janna: Ich habe das Gefühl, dass der Preis an unserer Arbeitsweise nichts ändern wird. Aber es ist uns ein großes Anliegen, Performance für junges und altersgemischtes Publikum mehr Raum zu geben und zu stärken. Und da ist es total toll, so eine Sichtbarkeit zu bekommen und sie dafür nutzen zu können.

Wicki: Wir erleben das schon als harte Trennung, dieses Theater für junges und für erwachsenes Publikum. Und es ist uns auch gemeinsam mit dem Mousonturm und unseren weiteren Kooperationspartner:innen wie dem FFT Düsseldorf ein Anliegen künstlerisch zu erforschen: Wie kann eine Performance aussehen, die für viele Generationen interessant ist? 

 

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Der folgende Text über „family creatures“ ist im Artikel zu den Nominierten des Deutschen Theaterpreises DER FAUST 2023 in der Ausgabe 11/12/2023 der DEUTSCHEN BÜHNE erschienen. Das ganze Heft mit dem Schwerpunkt zu DER FAUST 2023 und Texten zu allen Nominierten und den Produktionen gibt’s als PDF auf der Website der DEUTSCHEN BÜHNE in der aktuellen Leseprobe.

WICKI BERNHARDT, JANNA PINSKER

in „family creatures“ (8 +), Künstler*innenhaus Mousonturm Frankfurt

Eine Produktion von PINSKER + BERNHARDT in Koproduktion mit dem Künstler*innenhaus Mousonturm und dem FFT Düsseldorf

In PINSKER + BERNHARDTs eigenen Worten ist „family creatures“ weird, ein biss­chen traurig, basslastig, witzig, melodramatisch und auch langweilig – wie es in Fami­lien halt so ist. Mit ihrer Wahlfamilie, bestehend aus einer leckenden und schlürfenden Zunge, dem Hund, einem Vorhang, der Big Sis und drei Schwänen leben Janna Pinsker (im Foto rechts) und Wicki Bernhardt auf der Bühne am Mousonturm in Frankfurt auf berührende Art und Weise die Merkwürdigkeiten von F*A*M*I*L*Y aus. Das Regie­ und Performerinnenduo schnallt sich für die Big Sis Beine mit Silberstiefeln um, und auch die haben, wie die Zunge oder die Schwäne, eine Bewegungsautomatik eingebaut. „Du machst dich echt breit“ klingt in dem Stück mal neckisch, mal sauer. Die „crea­tures“ holen zu melancholischer Electronica und Postpunk von Musikerin Laura Lan­dergott im mit Familien verbundenen Gefühlssturm ab, und über allem hängt Sister Sledges treffender Songtitel: „We are family!“

Text: Martina Jacobi