Eine Woche meines Alltags als Schauspieler am RLT Neuss, wenn ich nicht in einer Probenphase bin…
Montag
10:00 Uhr Wiederaufnahmeprobe von „Der Trafikant“ von Robert Seethaler. In dem Stück spiele ich den jungen Franz, der zu Beginn des zweiten Weltkriegs nach Wien zieht, um in einer Trafik zu arbeiten. Das Stück haben wir über zwei Monate nicht gespielt. Ich frage mich, an wie viele der Absprachen und Vorgänge wir uns noch erinnern. Fazit nach eineinhalb Stunden Durchsprechen: Alles noch da, nur ein paar Textunsicherheiten. Zu Mittag geht’s nach Hause, ich habe den Rest des Tages frei und sollte den Text nochmal durchgehen, aber ich lenke mich mit Alltagsgedöns ab (einkaufen, kochen, Pflanzen gießen). Abends ärgere ich mich ein bisschen über mich selbst, weil ich den Text nicht nochmal gelesen habe.
Dienstag
Ein Blick auf den Tagesplan bestätigt mir: Keine Probe und keine Vorstellung. Ich freue mich über einen freien Tag. Da heute ein bisschen die Sonne scheint, gehe ich in das Waldgebiet in der Nähe. Nach einem kleinen Spaziergang geht´s noch kurz zum Einkaufen und danach wieder nach Hause.
Mittwoch
Aufstehen um 8:30 Uhr. Ich gehe kalt duschen – angenehm ist es nicht, aber es gibt mir Energie und hilft mir den Tag über mit diversen Stressfaktoren im Alltag besser klar zu kommen. Nach dem Frühstück gehe ich den Text für die Abendvorstellung durch. Gegen 18:00 Uhr verlasse ich die Wohnung und fahre mit Fahrrad und S-Bahn zum Theater. 40 Minuten dauert das Ganze (sofern die Bahn fährt). Manchmal würde ich gern näher an meinem Arbeitsplatz wohnen, vor allem in intensiven Probenphasen. Andererseits gibt mir die geografische Distanz die Möglichkeit nach einer Vorstellung wieder runterzukommen, bevor ich zu Hause ankomme, was durchaus von Vorteil ist. Kurz vor 19:00 Uhr erreiche ich das Theater und beginne mich vorzubereiten. Um 20:00 Uhr beginnt die Vorstellung. Alles läuft gut.
Donnerstag
Heute spielen wir „Der Trafikant“ als Abstecher, also nicht auf unserer Heimatbühne in Neuss. Mittags gucke ich auf den heutigen Tagesplan, den mir das Theater am Vortag schickt: Die Abfahrtszeit am Theater ist um 16:00 Uhr. Am Theater wartet ein Bus, der uns zum Gastspielort fährt. Meine Kolleg:innen sind schon alle da, also geht es direkt los. Im Bus nutze ich die Zeit, um mit einer Kollegin nochmals einzelne Szenen des Stücks durchzugehen. Den Rest der Zeit mache ich ein bisschen die Augen zu.
Philippe (vorne) in „Der Trafikant“; Foto: Marco Picuch
Nach einer Stunde Fahrt kommen wir an. Heute mal ganz ohne Verspätung, also entschließen wir uns noch einen Kaffee trinken zu gehen, während unsere Regieassistentin die Requisiten und Kostüme einrichtet – das Bühnenbild wurde bereits aufgebaut, bevor wir angekommen sind.
Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn machen wir einen kurzen Soundcheck. Anschließend ziehe ich mein Kostüm an und überprüfe, ob meine Requisiten alle am richtigen Ort liegen. Um 19:30 Uhr beginnt die Vorstellung, der Saal ist gut besucht. Der Anfang läuft ganz gut, doch auf einmal höre ich ein unerwartetes Geräusch: Ich blicke an mir herunter und sehe, dass mein rechtes Hosenbein von oben bis unten zerrissen ist. Während meine Kolleg:innen und ich weiter spielen, rasen die Gedanken. Einfach weitermachen, als wäre nichts? Geht nicht, ¾ des Stückes liegen noch vor mir. Die nächste Szene beginnt und ich sehe wie es auch in den Köpfen meiner Kolleg:innen rattert. Sie können mir schwer aus dieser Situation helfen. Zum Glück kann ich mich in der nächsten Minute ‚von der Bühne spielen‘. Kaum von der Bühne, renne ich in die Garderobe und hoffe, dass im Kostümschrank eine Ersatzhose ist. Glück gehabt! Nach hektischem Umziehen eile ich auf die Bühne zurück. Das Hosenunglück bleibt das einzige Missgeschick am heutigen Abend, sodass wir die Vorstellung erfolgreich zu Ende spielen können. Auch Pannen gehören zum Alltag.
Freitag
Heute spiele ich den Liederabend „Und immer wieder geht die Sonne auf“: Andere Kolleg:innen als am Vortag, zwei Musiker, Instrumente, Microports und einsingen – vielmehr Trara als beim „Trafikant“. Am Theater angekommen, gibt es für mich keine Zeit zu trödeln. Ich werfe mich ins Kostüm, lasse mir mein Microport kleben und stimme meine Gitarre bis zu meinem Soundcheck.
Philippe (2.v.l.) in „Liederabend“; Foto: Marco Picuch
Meine Kolleg:innen sind währenddessen auch dabei ihre tausend kleinen Handgriffe zu erledigen. Nachdem wir uns gemeinsam eingesungen haben, geht es für mich noch rasch in die Maske – das Make-Up ist nicht kompliziert, dauert also nicht lange. Jetzt schnell auf die Bühne, alle platzieren sich, der Vorhang geht auf und es geht los. Nach eineinhalb Stunden Gesang und Tanz geht es in die wohlverdiente Dusche.
Samstag
Wie gestern spiele ich auch heute wieder den Liederabend. Man merkt, dass Samstag ist, denn der Saal ist gut gefüllt. Es ist schön nach der Corona-Pandemie wieder vor vielen Leuten zu spielen.
Die Vorstellung läuft gut. Nach getaner Arbeit gehen wir alle gemeinsam was trinken. Ich denke darüber nach, was für ein Glück und Privileg es ist, auf einer Bühne zu stehen und Menschen unterhalten zu dürfen. Zufrieden fahre ich nach Hause und bin gespannt auf die nächste Woche.
Philippe Ledun studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Als Sohn eines französischen Clowns verbrachte er einen Teil seiner Jugend im Zirkus und im Varieté-Theater und begann früh sich mit Zauberei und Artistik zu beschäftigen. Bereits während seines Studiums spielte er am Schauspiel Frankfurt u.a. in »Tintenherz« und »Die Zertrennlichen« und gastierte am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden in »Der fröhliche Weinberg«. Im Sommer 2018 wurde er beim 29. Bundeswettbewerb deutschsprachiger Schauspielstudierender für seine Rolle als Purl in »Einige Nachrichten an das All« ausgezeichnet und erhielt den Förderpreis für junge Schauspielstudierende der Hochschule für Musik und Darstellende Künste.
Hier könnt ihr sehen, in welchen Stücken Philippe noch mitspielt.