Kritik

„Epic Fail“ am Jungen Schauspielhaus Hamburg

Auch Held:innen sind nicht unfehlbar. In ihren Geschichten geht es immer auch um die Missgeschicke, also um Epic Fails. Gemeinsam mit einem jungen Ensemble von Spieler:innen zwischen 14 und 20 Jahren ergründen die Regisseurinnen Yeşim Nela Keim Schaub und Lisa Pottstock am Jungen Schauspielhaus Hamburg die Welt der griechischen Mythologie und stürzen sich auf Momente des Scheiterns, in denen sie sich und eine gegenwärtige Gesellschaft erkennen können. Premiere: 12.01.2024

Foto oben: Sinje Hasheider
Beitrag von: am 13.01.2024

Mitten in der Griechennovela

 

Zu „Epic Fail“ lockt das Junge Schauspielhaus Hamburg. Wer sich zur Premiere in Zeiten von Bahnstreiks auf den Weg macht, hat zur Vorbereitung viel Zeit, diese mit endlosen Fail-Compilations im Internet totzuschlagen, in denen Menschen oder Tiere derart grandios scheitern, dass es schon wieder komisch ist – und die Schadenfreude kitzelt. Zur Erweiterung des Verständnishorizonts lohnt es, noch in der Ratgeberliteratur zum Glück oder zur Kunst des Scheiterns zu blättern, diesen Plädoyers, Misserfolgen einen Sinn zu geben und als klüger machenden Lerneffekt zu verstehen. Vorm Theater gibt’s dann gleich noch ein analoges Fail-Szenario. Auf dem Pflaster liegt die Eisesglätte und schon ein Zuschauer am Boden. Er steht aber schnell wieder auf, schliddert weiter und spielt den gesellschaftlichen Konventionen gemäß, als wäre nichts geschehen. So ist man schon mitten im Thema, wenn schließlich acht Schauspiellaien, 14 bis 20 Jahre alt, prima angeleitet vom Regieduo Yeşim Nela Keim Schaub und Lisa Pottstock, die Bühne mit ihren ganz eigenen Körperinszenierungen betreten. In freundlicher Neugier schweigen sie fragend ins Publikum, mischen individuell im Ausdruck ein bisschen Grummeligkeit, Coolness oder Ratlosigkeit hinzu und gehen wieder ab. Marthe Labes hat sie typisiert kostümiert und den Spielraum so stimmungsvoll wie möglichkeitsoffen gestaltet mit Wolken und Sitzmöbeln in wattigem Design.

Nach dieser tollen stummen 1. Szene zur Vorstellung des wunderbar diversen Ensembles platzen dann die Worte hervor. Nicht aus dem Scheitern klug werden wollen die Jugendlichen, sondern ihre Zukunftsangst artikulieren. „Ich falle durch den leeren Raum“, sagt einer, die Zukunft sei ungewiss, „dieses Ungeheuer wächst und wächst“, „bricht über uns herein“, ja, „wie soll ich etwas wagen?“ Anstatt sich brav in die Zukunft hinein zu entwerfen, erstarren sie vor ihr wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Schon fällt das Stichwort Kassandra. Kassandra? Apollon wollte unbedingt Sex mit der Trojanerin und versuchte sie mit einem Geschenk, der Seherinnengabe, zu becircen. Zwecklos. Das kränkte den Gott in seiner Eitelkeit, erweckte seine Rachelust und so bestrafte er Kassandra damit, dass ihren Aussagen nie geglaubt wird, sie also nichts bewirken, verändern kann in der Welt, ihr Troja. Das allen Warnungen zum Trotz dann ja auch zugrunde ging. Zu diesen Ausführungen schmeißt das Ensemble die Nebenmaschinen an. Die Spieler:innen erkennen in der tragischen Heldin den zeitlosen Kampf, sich in einem patriarchalen System als Frau Gehör zu verschaffen.

Da wir jetzt schon mitten in der „Griechennovela“ sind, skizzieren die Jugendlichen im Schnelldurchlauf gleich noch den ganzen Gründungsmythos der europäischen Zivilisation, vom Chaos zu Gaia und all den Mackergöttern. Gesungen werden dazu traurige Lieder und als einer fragt, „es gibt doch Hoffnung?“, rücken alle von ihm ab. Denn einig sind sie, dass sich in der Gegenwart das olympische Männlichkeitsgetue fortsetzt mit all den Kriegen, Vergewaltigungen und brutalen Machtspielen. Das müsse aufhören! Zur Bestärkung dieser Forderung reißen alle die Vorhänge herunter, die den Spielraum begrenzen und von Gottvater Zeus’ Blitzegewittern geziert sind. Die Jugendlichen betonen, nicht verflucht zu sein. Sie könnten also alles sagen, und hier im Theater würde man ihnen auch zuhören und glauben. Ja, verdammt nochmal, sie wollen gehört werden und Einfluss nehmen. Aber sie stehen nur ratlos herum und sagen: „Öffentliches Sprechen, wie soll das gehen?“ Also lieber noch ein Lied singen.

Von diesem angestauten Tatendrang zu künden, dieser Hilflosigkeit, sich einzubringen in die Gegenwart, also erwachsen zu werden, ist leidenschaftliches Anliegen der Protagonist:innen. Ihr Epic fail. Wollen, aber nicht können. Nicht wissen wie. Oder gepeinigt von der Angst vorm Fehlermachen, vorm Versagen, sind Misserfolge in unserer Leistungsgesellschaft doch geächtet, so dass Niederlagen das Selbstwertgefühl demolieren.

Leider sprechen die Jugendlichen aber nicht nur in ihrer Sprache. Die Textcollage klingt häufig wie ein Mix der gelb markierten Sentenzen aus einem Reader zum Thema. Die Inszenierung bemüht sich allzu sehr um den Sprach-Sound der Schlauheit. Aber das Ganze ergibt kein Stück, sondern eher szenisch pointiertes Ausgangsmaterial, um vielleicht performativ ins Offene zu gehen, um Zukunftsangst nicht nur zu behaupten, sondern sich auch mit ihr auseinanderzusetzen. Um Handeln zu ermöglichen. Work in progress. So wie Schriftsteller Samuel Beckett einmal formulierte: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“