Ich sträube mich schon wieder eine Kritik mit dem Corona-Aufhänger einzuleiten. „Die letzten zwei Jahre waren für uns alle…“, „In Zeiten von Social Distancing…“, „Seit Ausbruch der Pandemie…“ Und so weiter.
Für die Romanadaption „Krummer Hund“, die beim disejährigen Heidelberger Stückemarkt zu Gast war und am 13. Oktober im Theater an der Parkaue Premiere feierte, ist es aber fast unmöglich die Verbindung nicht zu schlagen. Die Einsamkeit speziell unter Jugendlichen zieht sich durch das Stück und traf mich (ein Pandemie-Teenie) so persönlich sehr stark. Außerdem regte mich der Abend an über die Art und Weise, wie wir Theater konsumieren zu reflektieren.
Der 14-jährige Daniel ist gerade einsamer denn je. Er trauert um seinen Hund Ozzy, nachdem dieser durch die Spritze von Daniels neuem Stiefvater eingeschläfert wurde. Zusammen mit seinem Freund Edgar plant Daniel außerdem seine Mitschülerin Alina (Nickname „Princess Evil“) zu investigieren.
Durch eine ständige Wut getrieben, kommt es bei Daniel immer wieder zu Kontrollverlusten und cholerischen Anfälle, dem Fahrräder, fremde Hunde oder schwächere Mitschüler zum Opfer fallen. Im Laufe des Stücks erfährt Daniel mehr über das Innenleben anderer Personen, entwickelt Verantwortung und Empathie und beginnt zu begreifen, dass jeder Mensch auf seine eigene Art einsam ist.
Schon während des Einlasses befinden sich alle fünf Schauspieler:innen (Jessica Cuna, Claudia Korneev, Tenzin Chöney Kolsch, Nicolas Sidiropulos, Kofi Wahlen) auf der Bühne, laufen umher, erkunden die Spielfläche. Schnell wird klar, dass hier ein Innenraum, ein Innenleben des Protagonisten verbildlicht wird. Fünf Facetten Daniels, die sich rastlos in seinem Bewusstsein zwischen fast schon lieblos abgestellten Souvenirs seiner Realität bewegen; An der Bühnenwand lehnen Gemälde, wahrscheinlich eine Anspielung an Edgars Malerei-Hobby; nach Daniels Liebeserklärung zur Mathematik macht auch die an die Rückwand geschmierte Mitternachtsformel Sinn und alles überthronend steht zentral in Daniels Bewusstsein natürlich Ozzy. Große monolithische Buchstaben aus Eis. Eine Konstante zum Festhalten, die aber auch durchsichtig und zerbrechlich wirkt und langsam zu Schmelzen beginnt. „Wir können nichts dagegen tun, dass das Eis schmilzt.“, meint Regisseur Alexander Riemenschneider dazu im Nachgespräch.
Die Fünf Spieler:innen stellen gleichzeitig Daniel dar, wechseln sich ab im Erzählen. Dabei unterscheiden sich auch ihre Haltungen. „Es kann sein, dass mein Daniel lacht und ein anderer weint“, beobachtet Schauspieler Tenzin Chöney Kolsch. Hin und wieder entstehen Dialogszenen, in denen ein:e Spieler:in eine sich durchs Stück anhaltende Patenschaft für einen der Nebencharaktere übernimmt. Kofi Wahlen, der immer wieder in die Rolle von Edgar schlüpft, setzt im Nachgespräch entgegen: „Alle sind eigentlich die ganze Zeit Daniel.“ Das Publikum bekommt keinen Blick auf die Außenwelt, sondern muss sich mit dem subjektiven Erzähler und so lediglich der persönlichen Projektion seiner Mitmenschen in dessen Wahrnehmung abfinden. Erst später, als sich Daniels empathische Fähigkeiten ausbauen, schälen sich die anderen Figuren mehr und mehr heraus. Es kommt zu mehr Dialogszenen, das Publikum verlässt Daniels Kopf und bekommt einen Blick auf die Außenwelt.
Eben dieser Blick auf die Außenwelt wurde für viele von uns in den letzten zwei Jahren urplötzlich zur Rarität. Ja, es tut mir leid, jetzt wird doch nochmal das Thema aufgemacht. Ich selbst habe Corona-bedingt „Krummer Hund“ das erste Mal allein in meinem Zimmer auf meinem Laptop gesehen. Viele bemängeln das digitale Theaterschauen, beschreiben die Distanz, die sie durch einen Bildschirm zu einer Inszenierung erleben. Ich persönlich habe mich durch meine isolierte Situation mit der prominenten Einsamkeit-Thematik im Stück, und so auch den Schauspieler:innen tatsächlich sehr verbunden gefühlt. Auch paradoxerweise direkt adressiert: Ein fünfköpfiges Kollektiv, das in meiner 17 Zoll großen Bühne für mich alleine gespielt hat.
Im Alten Saal des Theater Heidelberg mit seinen rund 300 Plätzen, vollgepackt mit semi-motivierten Schulklassen, deren Handys an und Airpods drin blieben, war das Einsamkeitsgefühl ein anderes. Tatsächlich war es jedoch nicht verschwunden, sondern ausgetauscht durch ein kollektives Empfinden. „Das ist Theater für mich: Alle machen mit“, kommentiert Regisseur Alexander Riemenschneider im Nachgespräch. „Jeder trägt zu einer Summe von Emotionen bei.“
Ob Schauspieler:innen auf der Bühne, die expressiv Eisbrocken zerschmettern oder Jugendliche im Publikum, die sich gegenseitig Gang-Signa über die Ränge zu fuchteln, alle gehören für mich zu diesem Abend dazu. Denn als sich Daniel mit Princess Evil über ihre verschiedenen Haltungen zu persönlicher Verantwortung, über ihre Ängste und Unsicherheiten austauscht, ist es still im Saal.
Genau wie bei Daniel gibt es im Theater zwei Möglichkeiten mit seiner Einsamkeit umzugehen: Im Inneren Monolog, allein in seinem Zimmer eine Unterhaltung mit sich selbst führend, oder im Dialog und stillem Empfinden mit anderen, gemeinschaftlich als Publikum und Darstellende einen Moment teilend. Alexander Riemenschneider fasst zusammen: „Da ist ja auch dieses Thema Einsamkeit. Aber da ist dieses Ensemble, das zusammen spielen muss. Es geht hier darum, gemeinsam von Einsamkeit zu erzählen.“