„Du fragst dich, womit du all diesen Schmerz verdient hast?“, so und so ähnlich erreicht gezielte Online-Radikalisierung junge Männer auf TikTok. Angesprochen wird eine bestimmte Persona, onlinetheater.live definiert diese als: Myke, zwischen 18 bis 24 Jahre alt, in Deutschland lebend.
Dream big! Aber in welche Richtung? „The magic is in the work you’re not doing“, verspricht ein Voiceover in einem Reel (Video) auf der Plattform. Dazu sieht man verschiedenste männlich gelesene Personen beim harten Workout. Es gehe um den „Power of the mind“, so lautet das Mantra, ums Manifestieren; und dann, „soon, very soon“, komme die Belohnung ganz von selbst. Im nächsten Reel rollt das fette Auto an, glitzert die Rolex, winkt das reiche Leben.
All diese Eindrücke stammen aus gesammelten Videos von onlinetheater.live, in denen Maskulinismus gezielt gefördert wird, ein radikalisiertes männliches Anspruchsdenken, das bei Gewaltakten oft ein Neben- und bei den im Schnitt in Deutschland alle drei Tage stattfindenden Femiziden ein Hauptmotiv ist. Auf der Bühne im Foyer des FFT Düsseldorf präsentieren die Künstler:innen ihre Recherche, quasi im live-TikTok-Format: Das Kernteam des Projekts, Kathi Kraft, Toni Minge, Luzia Oppermann und Caspar Weimann, sitzt vor einem großen Bildschirm im Smartphone-Format, über den das Publikum das Vorgehen des Kollektivs am realen Recherchematerial nachverfolgen kann.
Gesteuerte Wirklichkeitswahrnehmung
TikTok prägt die Wirklichkeitswahrnehmung einer ganzen Generation. 20,9 Millionen Menschen in Deutschland nutzen die App monatlich, freut sich die Plattform in einer Mitteilung über den eigenen Erfolg. Vor allem bei jüngeren Menschen in Deutschland ist TikTok weit verbreitet. Die Accounts hinter den in dieser Performance präsentierten Videos ziehen User:innen durch ein bestimmtes Männlichkeitsbild an – irgendwas zwischen Coach und großem Bruder.
„Wie hackt man diese Männlichkeit, ohne selbst nicht mehr männlich zu wirken?“, fragt Caspar Weimann. Mit eigenen Accounts gingen die Künstler:innen vor drei Monaten an den Start, mit den drei erfolgreichsten zogen sie das Experiment drei Monate durch: @alex.new.mindset schreit die User:innen mit seiner eben doch verletzlichen Seite im schwarzen Hoodie-Look quasi an: „Sprecht mit euren Bros“, „weißt du eigentlich, wie gefährlich es ist, zu sagen, dass du keine Hilfe brauchst?“
Hooked
Das Kollektiv macht die Funktionsweise der TikTok-Reels durch die Performance nachvollziehbar. Neben dem überdimensionalen Handyscreen im Hintergrund tragen sie die Recherche oft wie als Voiceover eines Reels vor, im Hintergrund läuft die auch für TikTok wichtige Hintergrundmusik bei Videos, gezielt gefühlsantreibend. Das wichtigste ist, die User:innen gleich zu Beginn zu catchen. Das geht mit der Hook (Haken), dem Aufhänger und ist nichts neues, das ganze Leben besteht aus Hooks: Buchtitel, Songtitel, Werbung. Die Devise: Als Anbieter:in schnell sein, die User:innen, Käufer:innen catchen, sie beim Video/Produkt halten.
Hacken, so die Definition des Kollektivs im radikalisierten TikTok-Rahmen: sich unkonventionell Zugang in den Homefeed der Zielgruppe verschaffen. Wichtig für den Erfolg war erstmal, von den User:innen als Bro akzeptiert zu werden. In der hier präsentierten TikTok-Gemeinschaft ist Männlichkeit ein Wesenszug, der nicht an ein biologisches Geschlecht gebunden ist. Sie ist eine bestimmte Lebenseinstellung: stark sein, nicht weiblich sein, nicht weich sein, keine Gefühle zeigen. Luzia Oppermann warnt, dass dieses Bild leider auch Jugendliche abholt, die sich nicht von unserer Gesellschaft aufgefangen fühlen, die als „Problemjungs“ bezeichnet und auch in traditionelleren Medien so dargestellt werden.
Wir sollten „Jungs nicht als Problem, sondern Potential sehen“, findet Oppermann. Denn leider ist die Radikalisierung auf TikTok kein Traum. Wie „MYKE – Hacking the Manosphere“ zeigt, gibt es aber Wege, die TikTok-Sprache auszutricksen, neue Denkweisen zu vermitteln. Schließlich berührt – und das macht diese Lecture-Performance fühlbar –, wie abgehängt und allein sich viele fühlen. Verständnis ist hoffentlich auch hier ein Weg raus aus dem Maskulinismus-Rabbit Hole.
„MYKE – Hacking the Manosphere“ ist Teil einer dreitätigen Veranstaltungsreihe zum Thema „Tiktok – virales Theater“ mit einem Austausch von Künstler:innen und Content-Creator:innen.
Die TikTok-Accounts: @alex.new.mindset, @donk507, @wohin_von_hier