„Lieb mich, jetzt lieb mich schon!“
Britney Spears am Theater!? Regisseurin Lena Brasch, die zusammen mit Schauspielerin Sina Martens das Stück „It’s Britney, Bitch!“ für das Berliner Ensemble erdacht hat, verrät im Gespräch: „Uns wurde schon gesagt […], das sei jetzt der endgültige Abschied der Hochkultur. […] Woran liegt es, dass Popmusik und Leute, die sie hören, so abgewertet werden?“ Möglicherweise ist ein Ort der Hochkultur genau der richtige, um darüber nachzudenken. „It’s Britney, Bitch!“ widmet sich der anscheinend lächerlichen Welt der Popmusik mit großer Ernsthaftigkeit, mit Vehemenz und Gefühl. Das Stück überführt all jene, die das Phänomen Pop als oberflächlich belächeln, selbst der Oberflächlichkeit.
„If Britney survived 2007, you can survive today”, steht auf der Tasse, die Sina Martens aus dem Fundus kramt. 2007 rasierte sich Britney Spears öffentlich die Haare ab, was in den Boulevardmedien als „Zusammenbruch“ und „Absturz“ gewertet wurde. Die Story wurde ausgeschlachtet; die Öffentlichkeit weidete sich an dem vermeintlichen Unglück. Und manche druckten eben humorige Sprüche auf T-Shirts und Tassen. Darin kondensiert auf krude Weise das grausame Dilemma, in dem Britney gefangen zu sein scheint: Sie gibt sich – jeden Zentimeter ihres Körpers, jede Minute ihres Lebens – der Öffentlichkeit hin. Und die Öffentlichkeit konsumiert und bewertet schamlos, was sie geboten bekommt. Der Mensch aber, der jeder Popstar ja ist, wird aufgebraucht: seine Substanz, seine Emotionen. Übrig bleibt ein millionenschweres Image. Im Stück sagt Sina Martens in der Rolle der Britney: „Ich hab mich wundgeliebt an der Welt. Nie verlangt, zurück geliebt zu werden.“ Aber die Zeiten sind vorbei. Jetzt entschließt sie sich, zu fordern, was ihr zusteht: „Los,“ sagt sie zu jemandem im Publikum: „Lieb mich, jetzt lieb mich schon!“
„It’s Britney, Bitch!“ erzählt von und mit Britney eine Geschichte, die die meisten spätestens seit #freebritney kennen: ein Weltstar, die mehrere Tourneen absolviert, während sie 13 Jahre lang unter der Vormundschaft ihres Vaters steht und den Personal-Apparat, der zu ihrer Einschüchterung und Unterdrückung angestellt ist, mit ihren Millionen-Gagen finanziert – bis sie sich endlich befreien kann. Die Britney auf der Bühne des Berliner Ensembles wirkt leider wie ein Abklatsch der weltbekannten Bühnenpersona. Zwar bröckelt die glamouröse Fassade massiv unter den Anschuldigungen, die sie gegen ihre Familie und ihr Management vorbringt, unter der Trauer und Verzweiflung, die sie zeigt. Aber das alles haben diverse Dokumentationen in der Vergangenheit bereits eingehend beleuchtet. Was hier fehlt ist – Kraft der Fantasie – eine Vision vom Menschen hinter dieser Pop-Ikone. Denn was Normalsterblichen bis heute unbegreiflich bleibt, ist, wie ein Mensch dem Druck, der Getriebenheit und Angst, denen jemand wie Britney Spears ausgesetzt ist, so lange Stand halten kann. Wie übersteht man körperlich und mental extrem fordernde Tourneen, während man durch den eigenen Vater sämtlicher Bürgerrechte beraubt, von den eigenen Angestellten bedroht und von Paparazzi belagert wird? Welche Quelle speist die Kraft, über 13 Jahre unter solchen Bedingungen für die eigene Freiheit zu kämpfen und damit zugleich einen Kampf zu führen, den – freilich unter ganz anderen Vorzeichen – Millionen andere Menschen führen: gegen Abwertung und Unterdrückung.
„Was fast jede junge Frau durchmachen muss, hat Britney im großen Stil erlebt. Vor Millionen von Menschen. Ich bin ihr dankbar dafür, dass sie das durchgehalten hat, damit wir heute darüber als Negativbeispiel reden können. Ist das die „Britney in uns allen“, die das Stück verspricht, zu zeigen? Unbestritten ist, dass sich eine ganze Menge Menschen mit Britney Spears identifizieren. Und klar ist auch, Britney verkauft sich bombastisch, auch auf der Bühne der Hochkultur: jede Vorstellung ausverkauft. Ironischerweise profitiert damit der Betrieb, der die Popmusik so vehement ablehnt selbst von ihr.
Wie positioniert sich ein Stück über Britney Spears in der Fülle von Arbeiten, die es bereits über dieses Pop-Phänomen gibt? Ihre persönliche Geschichte dient nur als Blaupause für Konflikte, die zahllose andere Pop-Sängerinnen und letztlich schlichtweg die meisten Frauen auszustehen haben. Sina Martens bringt sie alle zur Sprache. Frauen sollen schön sein und sexy. Und wenn sie es sind, wird ihnen der Intellekt abgesprochen und sie werden zu Objekten männlicher Begierde degradiert. Sie sollen stets lieb und nie wütend sein. Alles in ihrem Leben soll sich nur um Männer drehen. Selbst die Drogensucht einer Frau, soll noch in ihrem Liebeskummer über einen Mann wurzeln.
Sina Martens empört sich auf der Bühne – als Schauspielerin, als Frau und in der Rolle der Britney – über die Benachteiligung, Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft. Sie analysiert nüchtern, sie betrauert leise und sie tobt vor Wut. Die Texte, die sie vorträgt, stammen von Laura Dabelstein, Miriam Davoudvandi und Fikri Anıl Altınta. Explizit und ausschweifend werden darin Sexismus und Frauenfeindlichkeit unserer Gesellschaft angeprangert. So explizit, dass fast etwas Vorlesungs-Atmosphäre aufkommt. Dabei kratzt der Text nur an der Oberfläche einer Debatte, die freilich in einer One-Woman-Show nicht in castorfscher Länge geführt werden kann. Ein paar Sätze brennen sich ein, aber im Großen und Ganzen birgt der Text keine Überraschungen.
Sina Martens allerdings holt alles aus ihm heraus. Sie findet in ihrer aufreibenden Rolle zielsicher den Weg von trockenem Sarkasmus zu schäumender Wut und leiser Hoffnung. Dabei macht sie eine Metamorphose von der Blondine in Leggins und T-Shirt über eine glitzernde Diva in Abendkleid mit Glatze, hin zu einer Kämpferin in roter Latex-Uniform durch. Sie singt mit schöner, starker Stimme Britneys Hits, langsam und melancholisch arrangiert (Musik: Friederike Bernhardt). Und mit Leichtigkeit legt sie ein paar der legendären Tanzmoves vor. Martens zeigt vollen Einsatz und wird für ihre energiegeladene Performance zurecht vom Publikum mit einem langen Applaus gefeiert.
Eine Menge Glitzer, viele Spiegel und ein paar Laserstrahlen werfen von der Bühne (Janina Kuhlmann) aus Licht in die düsteren Abgründe der Pop-Industrie. Das ist alles nichts Neues. Die Geschichte von Britney Spears und der Umgang mit Frauen in unserer Welt, den sie reflektiert, besitzt dennoch einige Sprengkraft – allein, wenn wir uns bewusst machen, in welchem Jahrtausend wir leben und wie lange der Kampf um Emanzipation und Gleichberechtigung, um Respekt für nicht-cis-männliche Personen schon geführt wird. Trotzdem bleibt „It’s Britney, Bitch!“ eher eine Hommage an diese Sängerin mit einem bitteren gesellschaftskritischen Beigeschmack. Ab und zu schweift der Scheinwerfer ins Publikum und fragt nach dem Voyeurismus, den Projektionen und der Macht, die die Öffentlichkeit in dieser sehr privaten Geschichte haben.