Thema

Konferenz junger Theaterschaffender

Vom 3.–5. Mai 2024 fand die Konferenz junger Theaterschaffender an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin statt. Das junge ensemble-netzwerk organisierte sie bereits zum sechsten Mal. Nach dem Konferenzmotto „Interdisziplinarität“ (2023) ging es in diesem Jahr um das Thema „Nachhaltigkeit“.

Foto oben: Antonia Ruhl
Beitrag von: am 01.06.2024

Der zentraler Slogan des ensemble-netzwerks – „You Are Not Alone“ – prangt gut sichtbar neben dem Eingang der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, in deren Räumen die Konferenz junger Theaterschaffender in diesem Jahr ihren Lauf nimmt. „In einer unübersichtlichen, großen Theaterwelt fühlt es sich besser an, nicht alleine zu sein“, erzählt mir Samuel Kastell. Er studiert Schauspiel an der Akademie der Künste Bayern und organisiert die Konferenz zum wiederholten Mal mit. Direkt im Foyer stoße ich auf den am Freitagnachmittag eröffneten ‚Markt der Möglichkeiten‘: Hier präsentieren sich Branchenverbände, darunter die GdBa (Gewerkschaft deutscher Bühnenangehöriger), das Performing Arts Programm und die Bühnenmütter e. V. Schon hier wird deutlich: Möglichkeiten des Austauschs, der Vernetzung und Selbstorganisierung wird es hier und an diesem Wochenende genug geben!

Wertschätzendes Arbeiten im Fokus

Und die braucht es in den Darstellenden Künsten nach wie vor: Einer dem eigenen Anspruch nach zutiefst sozialen und gemeinschaftlichen Kunstform stehen nach wie vor veraltete Arbeitsstrukturen in den Stadt- und Staatstheatern, Intransparenz in der Kommunikation und steile Hierarchien gegenüber. Machtmissbrauch ist in diesem System quasi vorprogrammiert, rassistische, sexistische und ableistische Diskriminierung leider noch immer ein ernstzunehmendes Problem, ebenso die mangelnde Fairness bei Gagen und Bewerbungsverfahren. Entsprechend verwundert es nicht, dass der Gründungsgeist des ensemble-netzwerks auch diese Konferenzräume und -tage durchweht: Sowohl die Vorträge als auch die ‚Open Space‘-Diskussionen in Kleingruppen und die informellen Randgespräche kreisen immer wieder um wertschätzendes Arbeiten auf Augenhöhe, Belastbarkeit und geschützte Grenzen zwischen Beruf und Privatleben. Einigkeit herrscht bei den ca. 120 angereisten Auszubildenden und Studierenden über umstrittene Maßnahmen wie Quoteneinführungen und Boykotts, wie es zuletzt am Thalia Theater Hamburg mitzuerleben war.

 

Netzwerken auf dem "Markt der Möglichkeiten" - Foto: Antonia Ruhl

Nachhaltigkeit kommt zu kurz

Das eigentliche Konferenzthema – Nachhaltigkeit – ist in diesen Gesprächen vor allem als soziale, als strukturelle Nachhaltigkeit präsent. Wie schwierig es ist, den Begriff Nachhaltigkeit präzise zu fassen, das ist auch der Kostüm-Studierenden Greta Wilhelm, ebenfalls Mitorganisatorin, bewusst. Die drei ineinander verschränkten Bereiche der Nachhaltigkeit – Ökologie, Soziales und Wirtschaft – seien auch auf das Theater übertragbar, überlegt sie: „Wenn die Folgen von Globaler Erwärmung eintreten, dann ist Theater letztendlich egal, denn was mit unserer Umwelt passiert, das kann nicht an Theatern vorbeigehen. Wenn wir auf sozialer Ebene nicht darauf achten, Mitarbeitende fair zu behandeln, dann wird es immer weniger Menschen geben, die noch Teil eines Theaterbetriebs sein wollen oder können. Wenn niemand mehr Teil eines Theaterbetriebs sein möchte, dann bricht die Wirtschaft dieses Betriebs zusammen.“ An der Hochschule für Bildende Künste Dresden, wo Greta studiert, erlebt sie ein hohes Bewusstsein für Fragen der Nachhaltigkeit. Anders ist das im Berufsalltag, wo der Zeit- und Personalmangel oft für viel Druck und wenig nachhaltige Strukturen sorgt. Auch die oft starken Hierarchien führten dazu, dass „Beschäftigte sich am Theater nicht so einbringen können, wie sie es vielleicht gerne würden“, ergänzt Samuel: „Es schweben gleich mehrere Damoklesschwerter über einem – wie die Nichtverlängerung oder Burnout.“

Die ökologische Dimension des Themas Nachhaltigkeit decken zwei Programmpunkte am Freitag ab: Die Musiktheaterregisseurin Margo Zālīte wiederholt in ihrem Sustainability Theater Lab die allseits geäußerten Aufrufe zum Aktivwerden, zum nachhaltigen ökologischen und sozialen Handeln, ohne dass deutlich würde, wie das in Bezug auf das Theater konkret aussehen könnte. Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Nadia Fistarol die Webseite STUFF – Neue Materialzyklen für Theater und Szenografie entwickelt: Auf der Webseite sind u. a. umweltfreundliche Materialien und ihre Eigenschaften gelistet, die sich für das Kostüm- und Bühnenbild eignen, ergänzt durch nachhaltige Methoden und Literatur, Weiterbildungsangebote und Vernetzungsmöglichkeiten. Ein Blick auf die Webseite lohnt sich! Besonders die Pilzgebilde, aus denen Barbara Ehnes eines ihrer Bühnenbilder schuf, begeistern die Konferenzteilnehmer:innen, unter denen sich viele Theaterplastiker:innen und -maler:innen, Kostüm- und Bühnenbildner:innen befinden. In der Gesamtschau der Konferenz steht dieser Programmpunkt leider ziemlich singulär da, was die Suche nach einer produktiven Verbindung zwischen struktureller Transformation und ästhetischer Vision angeht. Auch der (nachhaltige) Blick auf die vom Heute aus gestaltbare Zukunft bleibt etwas getrübt.

 

Buntes Programm; Foto: junges ensemble-netzwerk

Raus aus der Bubble

Innovative Ästhetiken, Utopien, der analytische, gerne auch mal optimistische Blick aufs große gesellschaftliche Ganze – das sind ja auch alte Ansprüche, die das Theater an sich stellt. Womöglich sind sie auch Bestandteile einer problematischen ‚Theaterfolklore‘: Mit diesem charmanten Begriff werden solche pauschalen Annahmen kritisiert, mit denen sich Ausbeutung und Unveränderlichkeit im Theaterbetrieb legitimieren lassen. Aber ganz ohne Vision und Utopie und Blick aus der eigenen ‚Bubble‘ heraus geht’s eben auch nicht, weder innerhalb noch außerhalb der Kunst: Solidarität über identitäre Zugehörigkeiten hinweg, ein solidarisches Preissystem für den Ticketverkauf, Einbezug verschiedener lokaler Bevölkerungsgruppen, selbstproduzierte und recycelbare Bühnen- und Kostümbilder, Vernetzung und gegenwartsrelevante Inhalte – dies sind Wünsche für das Theater, die mir Greta erst abseits des Konferenztreibens beschreibt.

Hoffnung auf Veränderung

Während also die künstlerischen Fragen in den Inhalten und Formaten der Konferenz etwas zu kurz kommen, leisten das JEN und die eingeladenen Gäst:innen gleichzeitig sehr wertvolle Informations- und Aufklärungsarbeit, die in den Ausbildungen und Berufsalltagen über all der Kunst oft vernachlässigt wird. Dazu zählt nicht nur, die eigenen Erfahrungsschätze miteinander im geschützten Rahmen zu teilen, sondern vor allem: Zahlen, Statistiken, juristische Handreichungen zu vermitteln. Es geht um die unterschiedlichen Vertrags- und Beschäftigungsformen am Theater und rechtlichen Ansprüche (Hannah Walther), um den Gender Pay Gap, Care-Arbeit und die Diskriminierung von Müttern bzw. Familien im Theater (Verena Usemann und Theresa Monfared von den Bühnenmüttern e. V.), aber auch um Diversität und Intersektionalität allgemein, die in den Spielplänen ebenso wie im Theaterapparat noch nachhaltig, über das Schlagwort hinaus verankert werden müssen (Céline Bartholomeus). Im „Theapolis-Realtalk“ diskutieren Karen Suender (vom Netzwerk Theapolis), Louisa Koch (Azubi am Nationaltheater Mannheim), Rebecca Thoß (Alumna HMT Rostock), Barbara Mundel (Intendantin der Münchner Kammerspiele) und Janina Benduski (LAFT Berlin) über Festengagements, die (In-)Transparenz von Bewerbungsprozessen und theaterbetrieblicher Strukturen ebenso wie Möglichkeiten für mehr Austausch und (Selbst-)Organisierung. All das sind zwar keine Neuigkeiten, aber leider noch immer aktuelle Fakten, auch wenn sich in den vergangenen Jahren schon viel getan hat. Hoffnung macht der respektvolle Dialog, den die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Theatern und Hochschulen noch vor dem Berufseinstieg führen, Hoffnung auch darauf, dass es zumindest auf langfristige Sicht nicht bei einem symbolischen Austausch bleibt.

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Antonia Ruhl ist Theaterwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Nach Hospitanzen und Assistenzen in Regie und Dramaturgie an verschiedenen großen Häusern und in der freien Szene zog es sie in die Wissenschaft. Seit 2022 arbeitet sie für den kulturwissenschaftlichen Neofelis Verlag. Seit 2017 ist sie Autorin der Theatermagazine Die Deutsche Bühne und junge bühne, die sie einige Jahre lang auch als Redaktionsmitarbeiterin unterstützte.