„Das Schlimmste ist, dass alles wie immer wurde”, sagt einer der Spieler von La Re-sentida. Und dann tue man wieder so, als wäre man eine:r von ihnen, gehe mit der Horde und demonstriere Muskelkraft. „La posibilidad de la ternura” prangert die Unmöglichkeit von Zärtlichkeit in unserer Gesellschaft an, in der von Geburt an ein bestimmtes Männlichkeitsbild vermittelt werde. Die männlich gelesenen Jugendlichen sind in diesem Stück nicht nur Darstellende, sondern auch Autor:innen: Sie präsentieren auf der Bühne ihre eigenen mit dem Thema verbundenen Geschichten und Emotionen.
Ein riesiges Bild von Neandertalern, die ein Mammut umkreisen und in der Falle haben, nimmt den gesamten Bühnenhintergrund im Salzlager der Kokerei Zollverein ein. Zu Beginn dient es als Projektionsfläche für ein groteskes Schattenspiel. Die Schauspieler:innen nähern sich hinter dem Bild, beleuchten sich aus verschiedenen Perspektiven mit Lampen, wozu sie sich animalisch bewegen, sodass ihre Körper verzerrt – mal riesenhaft, mal wie geschrumpfte Silhouetten – erscheinen. Dazu erklingen aus den Boxen dröhnende Urwaldsounds.
Bin ich Tier oder Mensch?
Wild wie ein Tier zu sein, wird hier aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Denn zwischen all den mit Steinen werfenden und mit Pfeilen schießenden Neandertalern mit verzerrten Fratzen erkennen sich die Darsteller:innen auf dem Bild schließlich im sterbenden Mammut wieder. Ist es nicht der Mensch, der zu viel mehr Grausamkeit fähig ist als ein Tier? Und woher kommt die Angst, dass alles Fremde gleich ein Feind ist?
„Haben Sie schon mal eine Mücke erschlagen?”, fragt eine:r das Publikum. „Oder vielleicht eine Kakerlake? Wer hat schon mal einen anderen Menschen geschlagen oder getötet?” Und dann kommt ein Satz, der sich einbrennt: „Wir kommen auf die Welt und können noch keine Gewalt.” Natürlich bleibt auch das naheliegende Kriegsthema nicht außen vor. Die Spieler:innen erschießen sich gegenseitig mit einer Spielzeugwaffe und begraben sich im Sandkasten. Sie zeigen, dass auch das, was nur mit Spielzeugen in der Vorstellungskraft imitiert wird, sehr real in unseren Köpfen stattfindet. Wozu mit Waffen spielen? Und weitergedacht: Wozu Krieg? Denn, auch „wer den Krieg überlebt, ist kein Gewinner.”
Wozu unsere Hände fähig sind
Mit thematisiert wird natürlich auch das körperliche Merkmal, dass einen Menschen zum Mann macht: der Penis. Die Darstellenden demonstrieren das Spiel „Mamón“, dass allein dazu da ist, andere zu demütigen. Man packt das Gegenüber am Nacken und reißt es daran nach unten in den eigenen Schambereich. Haben wir etwa vergessen, dass unsere Hände nicht nur Kraft ausüben können? Es gibt manchmal diesen einen Schritt zum Erwachsenwerden, wenn unsere Hände nicht mehr mit dem Kinderspielzeug spielen sollen, wenn man „zu alt” für Kuscheltiere ist. Aber was unsere Hände tun, kommt schließlich auch in unseren Köpfen an. Und so sagt auch eine:r: „Das Schlimmste, was meine Hände taten, war, das Kind in mir zu töten.”
Alle sieben Darsteller:innen präsentieren in den 80 Minuten eine sehr beeindruckende spielerische Leistung. Die Szene prägt sich ein, in der sie das große Skelett eines Mammuts aus seinen Einzelbestandteilen zusammensetzen und davor posieren: „Niemand soll vom Aussterben bedroht sein, um umsorgt zu werden.” Und zum Schluss gibt es eine Art Laudatio auf die Sanftheit und auf die Sensibilität — für mehr Zärtlichkeit in dieser Gesellschaft. Hut ab vor dieser berührenden Inszenierung!