Ein Gefühl wie nach drei Tassen Espresso. Ganz schön anstrengend kann es werden, das Lampenfieber, findet Lisa Eder. Weil man nicht mehr „runterkomme“, wie es die junge Schauspielerin, seit der Spielzeit 2019/20 im Ensemble des Staatstheater Mainz, formuliert. Doch gleichzeitig fühle sie sich nie wacher und lebendiger als unmittelbar vor einem Auftritt. „Dieser Adrenalinschub“, beschreibt sie, „das macht das Theaterspielen, die Freude daran aus.“ Wie stark sie das Lampenfieber empfinde? Sie lacht herzlich: „Auf einer Skala von eins bis zehn? Bei der Premiere bestimmt eine zehn.“ Auf jeden Fall steigere es sich kontinuierlich bis kurz vor dem Auftritt, findet Tim Engelhardt. Beim Spielen verschwinde es dann irgendwann. „Nach zehn Minuten ist es noch da“, wird er genauer, „aber nach einer halben Stunde ist es weg.“ Außer er habe noch eine schwierige Szene zu spielen: „Bei einem Stück gab es so eine Art Zeitlupenkampf in Slow Motion. Das war nicht leicht für mich“, erinnert sich der 18-jährige Schüler, „da kam das Lampenfieber sogar während des Stücks wieder, je näher die Szene kam.“ Tim Engelhardt konnte bereits während seiner Grundschulzeit in der Kinderstatisterie der Oper Leipzig erste Bühnenerfahrungen sammeln. Am Theater der Jungen Welt knüpft er daran an. Hier beginnt er zunächst im Jugendclub und wechselt dann in den Tanztheaterclub. Mittlerweile ist der 18-Jährige im vierten Jahr dabei. Die Nervosität vor jedem Auftritt ist geblieben. „Ich möchte es einfach bei jeder Vorstellung gut machen“, sieht er die Ursache für sein Lampenfieber, „dabei hilft es mir sogar, da ich mich so besonders energiegeladen fühle.“
„Gar kein Lampenfieber haben, bedeutet Unterspanntheit.“
Die positiven Effekte von Lampenfieber hebt auch Claudia Spahn hervor. Die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, professionelle Musikerin und Professorin für Musikermedizin leitet das Freiburger Institut für Musikermedizin (FIM). „Mir gefällt das Wort Fieber, das ist doch sehr treffend“, sagt die Expertin, „da stecken bereits beide Komponenten des Phänomens drin. Die Vorfreude, die positive Erregung, das Hinfiebern auf etwas.“ Sie lacht: „Da brauchen Sie nur an Kinder denken, die über Wochen aufgeregt auf das Weihnachtsfest warten.“ Auf der anderen Seite das Fieber als Krankheitssymptom und die Angst. „Genau an der Schnittstelle treffen wir auf dieses äußerst faszinierende Gefühl“, erklärt die Musikermedizinerin. Dabei sei die Intensität des Lampenfiebers auf einem Kontinuum darstellbar, an dessen einem Ende kaum Lampenfieber und am anderen Ende die Auftrittsangst stehe. Sie könnten sich eigentlich nicht vorstellen, dass es jemanden gebe, der kein Lampenfieber empfinde, sind sich Lisa Eder und Tim Engelhardt einig. „Ich glaube, ich wäre dann auch gar nicht gut auf der Bühne“, fügt die Mainzer Schauspielerin hinzu. Das bestätigt auch Spahn: „Gar kein Lampenfieber zu haben, bedeutet Unterspanntheit. Das ist für einen Auftritt nicht gerade förderlich.“ Betrachte man das gesamte Kontinuum, gebe es einen optimalen Bereich von Lampenfieber und darum herumliegend ein breites Spektrum, das nicht optimal, aber eben auch nicht pathologisch sei. Dieses Spektrum kennt auch Lisa Eder: „Vor den Premieren ist es mir manchmal fast zu viel. Da habe ich schon zwei Wochen vorher keinen Appetit mehr.“ Bei vielen Vorstellungen spüre sie dagegen einfach dieses „unglaublich positive Kribbeln“, das sie konzentriert halte. „Jeder Auftritt ist anders und da gibt es auch in Bezug auf die Aufregung Dinge, die einem gefallen oder nicht so gut gefallen, ohne dass das problematisch wäre“, erklärt die Musikermedizinerin Spahn. „Auftrittsangst“ hingegen sei eine psychische Diagnose, die einer professionellen psychotherapeutischen Behandlung bedürfe.
„Die beste Behandlung ist die Prävention.“
Doch wo liegt die Grenze zwischen einfach nur stark ausgeprägtem Lampenfieber und Auftrittsangst? Wie etwa Wut oder Trauer sei auch das Lampenfieber zunächst eine Art Grundgefühl, ordnet Claudia Spahn ein. Sei es vor Referaten, Prüfungen, Vorträgen oder eben auf der Bühne. „Mein Herzschlag und meine Atmung gehen schneller“, beobachtet Tim Engelhardt an sich, immer kurz bevor sich der Vorhang öffnet, „ich bekomme Gänsehaut und ganz kalte Hände.“ Häufig mache das Lampenfieber während der Pubertät einen Sprung, weiß Claudia Spahn. In dieser Phase würden sich Jugendliche ihrer selbst bewusst, seien empfänglicher für Zweifel und die Unbeschwertheit schwinde. Eine sensible Phase, in der Auftrittsängste eine Rolle spielen können.
Doch auch erfahrene Profimusiker oder Schauspieler können Auftrittsängste entwickeln. Als Auslöser kommen hierbei etwa verunsichernde Momente auf der Bühne in Frage. „Bei den Auftrittsängsten verschiebt sich das Lampenfieber dauerhaft in einen Bereich, in dem Bühnenkünstler starke Einschränkungen erleben“, erklärt die Expertin. Die Heilungschancen sind gut, weiß Claudia Spahn aus ihrer Erfahrung als Medizinerin. Am FIM behandelt sie Patienten, die unter Auftrittsängsten leiden, mit einem Behandlungsmodell, das verschiedene psychotherapeutische Methoden, Gespräche und praktische Übungen miteinander verbindet. „Die beste Behandlung ist aber die Prävention“, ist die Musikermedizinerin überzeugt. Das bedeutet, bereits in der Ausbildung zu lehren und zu lernen, mit den besonderen Anforderungen umzugehen, die ein Berufsleben im Rampenlicht mit sich bringt.
Adrenalin und Vorfreude
Doch was bedeutet es für Bühnenkünstler, wenn die Lampen und damit das Lampenfieber unter den pandemiebedingten Beschränkungen ausbleiben? „Wir hatten bei der letzten Vorstellung vor dem zweiten Lockdown im November schon eine ganz besondere Stimmung “, erinnert sich die Mainzer Schauspielerin Lisa Eder wehmütig, „da haben wir nochmal alles aufs Parkett gelegt. Schließlich wussten wir, dass wir das Publikum nun sehr lange nicht mehr sehen würden.“ Die Zuschauer gehörten aber ebenso wie das Lampenfieber zu ihrem Beruf dazu. „Ich möchte mich nicht persönlich über meine Situation in dieser Pandemie beklagen“, so Eder, „jedoch kann ich meinen Beruf momentan nicht ausüben und das fühlt sich lähmend an.“ Die Musikermedizinerin Spahn nimmt eine gewisse Erschöpfung und das Gefühl von Perspektivlosigkeit unter den Künstlern wahr, „anders als im ersten Lockdown, in dem noch so viel Kreativität und Kraft für die Entwicklung neuer Formate vorhanden war.“ Lisa Eder blickt indes nach vorn: „Ich glaube, es wird ganz besonders, wenn wir das erste Mal wieder vor Publikum spielen“, ist sie sich sicher und dann fügt sie lachend hinzu: „ein ganz besonderer Adrenalinschub.“ Die Vorfreude darauf spüre sie jedenfalls schon jetzt.
Die Auftritts-App „Stage: Cool“
„Stage: Cool“, die vom Freiburger Institut für Musikermedizin entwickelte Auftritts-App für Musiker*innen, hilft, Eindrücke vom Auftritt unmittelbar danach, wenn sie noch ganz „frisch“ und intensiv sind, festzuhalten und ein persönliches Selbstkonzept zum Umgang mit Auftritten zu entwickeln. Dafür beantworten die Nutzer*innen der App einige Fragen und erhalten innerhalb von fünf Minuten ein individuelles Feedback zum Umgang mit dem Auftritt. Dieses Feedback kann bei der Selbstreflexion unterstützend wirken. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: je genauer die Beschäftigung mit den eigenen Auftrittserfahrungen, desto höher der Lerneffekt in Bezug auf den zukünftigen positiven Umgang mit Auftritten.
Anregungen und praktische Tipps zum Umgang mit Lampenfieber gibt auch das Buch von Claudia Spahn „Lampenfieber. Handbuch für den erfolgreichen Auftritt.“
Den vollständigen Artikel mit weiteren Tipps und Informationen rund um das Thema Lampenfieber findet ihr in der nächsten Print-Ausgabe, die im September 2021 erscheint.