Selbstliebe, Nächstenliebe, toxische Liebe, Agape, Philia, Eros. Liebe, die Jahrhunderte überspannt; Liebe, die brüllend zerbirst oder schweigend zerbricht. Liebe als politisches Symbol, als „Wähl Liebe“-Kampagne des CSD zur bevorstehenden Bundestagswahl. Liebe als Gefängnis, als wärmende Decke, gemeinsames Nest. Liebe, Liebe, Liebe. Irgendwie ein Konstrukt, das wir alle kennen, und das uns doch seit Jahrtausenden beschäftigt – von Platon über Bell Hooks bis Dolly Alderton, weil es sich trotz aller Versuche der Definition entzieht.
Passend zum kommerziellen Feiertag der Liebe, auch bekannt als „Valentinstag“, präsentiert das Mainfranken Theater Würzburg in seiner kleinsten, gemütlichsten Spielstätte, der Probebühne, „Escape Love“. Autorin Elisabeth Pape hat das Stück im Rahmen des Leonhard-Frank-Stipendiums verfasst, welches das Theater selbst vergibt, um zeitgenössische Dramatik zu fördern.
Die Zeit tickt
Pape setzt ihre drei Charaktere Max, Marie und Sofie in die experimentelle Situation eines Escape Rooms – in diesem Fall ein leeres Schwimmbecken –, dem die drei Teenager entkommen sollen, indem sie die „wahre Liebe“ finden. „Die Zeit tickt. Das Schicksal liegt in euren Händen.“, klingt es immer wieder aus einem grauen Lautsprecher, der ominös über den Köpfen der Dreien schwebt und Hinweise von sich gibt, die ihnen bei dem „Escape“-Teil ihrer Mission herzlich wenig nutzen.
Marie und Sofie sind überhaupt nicht begeistert, von ihrer Lehrerin zusammen in dieselbe Gruppe gesteckt worden zu sein. Irgendetwas scheint zwischen den beiden vorgefallen zu sein, das die ehemals besten Freundinnen (oder … festen Freundinnen?) entzweit hat. Daria Lik legt Sofie als kühl und distanziert wirkende junge Frau an, die deshalb nicht weniger stark fühlt. Wegen ihres Konflikts mit Marie hat sie sich entschlossen, der Liebe zu entsagen, aber eigentlich sehnt sie sich genau danach. Am liebsten eben mit Marie. Die hingegen fährt leicht aus der Haut, weil sie das Gefühl hat, dass man immer alles ausdiskutieren und festlegen muss. Eva-Lina Wenners zeichnet die Jugendliche als impulsiv, laut und hitzköpfig und gibt ihr gleichzeitig eine schüchterne Seite. Ihre Marie tut sich schwer, Sofie ihre Empfindungen zu kommunizieren, nicht zuletzt, weil sie total verwirrt davon ist, dass sie nicht nur Sofie gut findet, sondern auch andere Menschen. Eine selbstverständlichere Darstellung eines polyamoren Charakters könnte man sich kaum wünschen.
Loris Kubeng als Maximilian hingegen hält an seiner Idee fest, dass die wahre Liebe existiert, und sein Lieblingsmensch da draußen nur auf ihn wartet. Der Liebe entkommen? Will er doch gar nicht! Er zergeht sich in Fantasien der perfekten Beziehung. Mit der Energie eines lebhaften Golden Retrievers imaginiert er Dates im Zoo, im Kino, im Schwimmbad. Kubeng spielt Max als den nach außen hin beinahe verzweifelt naiven Träumer und legt dabei noch Highlight-Auftritte wie einen locker-flockigen Mittelalter-Minnesang-Schmuse-Rap hin.
Regisseur Albrecht Schroeder hat das Kammerspiel mit sicherer Hand gestaltet: mit temporeichen Gesprächen und gelungen gesetzten Ruhepausen. Um ihn schart sich ein junges Team aus Bühnen- und Kostümbildnerin Laila Rosato, Dramaturg Tim Puls und Musiker:in Chris Schalko. Das Licht kommt von Anna Vakhovska. Gemeinsam setzen sie die drei Darstellenden so in Szene, dass die Spannung von Anfang bis Ende hoch bleibt.
Liebe und das Finden einer Antwort
„Escape Love“ regt zum Nachdenken über Liebe und ihre Unausweichlichkeit an. Pape unterwirft sich in ihrem Text nicht dem Trend, Fragen stellen zu wollen, ohne sie zu beantworten, und die Verantwortung dafür wieder dem Publikum zuzuschieben. Sie antwortet klar: Liebe ist schwierig. Immer. Eine Lösung, oder vielleicht vielmehr eine Erleichterung ihrer Komplexität, liegt nur in der Akzeptanz ihrer Existenz, ob das nun im individuellen Mikro- oder im politischen Makrokosmos ist.
Svenja Plannerer © HaiLights Photography
Die Autorin, geboren 1996, ist Psychologin, Autorin, Kulturjournalistin und sehr neugierig. Ihre letzten Abenteuer führten sie zur Buchbinderei und zur koreanischen Sprache, die sie gerade versucht zu lernen.