Ensemble mit Bühnenbild

Kritik

„Sternstunden der Menschheit“ bei den Salzburger Festspielen

Der Regisseur Thom Luz inszeniert bei den Salzburger Festspielen Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ als einen manchmal lärmenden, manchmal ruhigen Abgesang auf die Menschheit.

Premiere: 27. Juli 2024

Foto oben: Sandra Then
Beitrag von: am 29.07.2024

Im Fundus der Geschichte

Vierzehn historische Begebenheiten hat der Schriftsteller Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ nacherzählt. Oder: in Literatur verwandelt. Denn Zweig geht nicht vor wie ein Historiker. Eher wie einer, der ergründen will, warum seine Helden (tatsächlich allesamt Männer) gehandelt haben, wie sie gehandelt haben; woran sie geglaubt haben; und woran sie gescheitert sind. Zweig hat ein Herz für die, die sich nicht durchsetzen konnten, die zu spät kamen oder zu früh gestorben sind.

Bei den Salzburger Festspielen hat sich nun der Regisseur Thom Luz diese „Sternstunden“ vorgenommen und in einen Theaterabend verwandelt. Luz will hineinhorchen in die Menschheitsgeschichte, dieses „große Mitmachdrama“, und in das Leben des Autors. Dieser lebte einige glückliche Jahre in Salzburg, bevor die Polizei 1934 sein Haus durchsuchte und Stefan Zweig merkte, dass hier kein Platz mehr ist für einen wie ihn: Einen Juden und erklärten Pazifisten. Nur zwei Tage später emigrierte er nach London, später nach Brasilien. Dort beendeten Zweig und seine Frau Lotte 1942 gemeinsam mit einer Überdosis Schlafmittel ihr Leben. „Hoffnung ist für mich jetzt ungefähr so nützlich wie die Fotografie von Sauerstoff für einen ertrinkenden Menschen“, hatte er zuvor geschrieben.

Noch bevor die Saaltüren schließen, zieht eine kleine Kapelle durch das Foyer auf die Bühne. Am Rande des Zuschauersaals stehen einige Nachzügler:innen, schauen verwirrt auf ihre Karten, als suchten sie ihren Platz. Es sind Vincent Glander, Evelyne Gugolz, Isabell Antonia Höckel, Steffen Höld, Nicola Mastroberardino und Barbara Melzl aus dem Ensemble des Münchner Residenztheaters, die in dieser Koproduktion mit den Salzburger Festspielen zu sehen sind.

Duri Bischoff hat überdimensionale Regale auf die Bühne des Landestheaters gestellt, gefüllt mit riesigen weißen Gips-Objekten, Bruchstücke und Überbleibsel jener vermeintlichen Sternstunden: eine Kanone (aus der Schlacht um Waterloo?) ist ebenso darunter wie eine Eisscholle (als Zeichen für Robert Scotts Südpolexpedition?), davor eine Kabeltrommel (wohl für das erste transatlantische Kabel). Luz schickt sein Ensemble in diesen Fundus der Geschichte; in ein Rätselraten, bei dem die Spieler:innen versuchen, sich aus all den Fragmenten einen Reim zu machen. Sie lauschen an den Objekten, hören Teile der Zweig-Texte, versuchen sich in Heldenposen, probieren Geschichten an wie alte Kleider, die nicht recht sitzen. Mal ist es sehr leise, dann wieder laut, eine Kakophonie der Historie. Nicht selten ist das Treiben auf der Bühne einfach nur chaotisch und lärmend, was sicher auch für das Treiben der Menschheit gilt. Aber so schwer sich die Figuren tun, einen Sinn in den Geschichten zu entdecken, so schwer tut sich zeitweise auch das Publikum.

Die Besucher in diesem Menschheitsmuseum bauen einen Turm aus den Trümmern der Geschichte, während eine Stimme aus dem Lautsprecher (sie gehört Johannes Nussbaum) wie aus einer anderen Zeit berichtet, wie der US-amerikanische Präsident Wilson nach dem ersten Weltkrieg mit seinen globalen Friedensplänen scheiterte. Wie überhaupt diese Helden in Zweigs „Sternstunden“ oft Gescheiterte sind: Sei es Cicero mit seinem humanistischen Weltbild oder Robert Scott mit seinem Versuch, den Südpol zu erreichen. So sind die Menschen, meint man da herauszuhören und -sehen: Immer neue Denkmäler bauen sie aus den Überbleibseln des Vergangenen, immer wieder fangen sie von vorne an, anstatt zu lernen aus dem, was vor ihnen war. Vielleicht sind sie für echte Sternstunden einfach nicht gemacht?

Zwischendurch finden die Spieler:innen Briefe von Zweig auf zerknülltem Papier – und dessen (Er)Leben rückt in den Vordergrund, vor jene „Sternstunden“, die er beschrieben hat und von denen man hier recht wenig zu hören bekommt, manchmal nur wenige Sätze. Näher rückt einem der Mensch Stefan Zweig, der das Weltgeschehen in so besondere Worte gefasst hat, Worte eines Dichters und Analysten. „Ich leide schwer unter meiner vorausblickenden Fantasie“, schrieb er. „Man hat sich die Augen wundgesehen nach dem berüchtigten Silberstreif am Horizont.“ Oder: „Wir haben den Katalog aller möglichen Katastrophen durchgeackert und sind noch immer nicht beim letzten Blatt.“ Gegen Ende dieser 90-minütigen Tour de Force wird es ruhiger auf der Bühne, konzentrierter und intensiver. Wie eine Gestrandete steht Barbara Melzl an der Rampe, während hinten ein Umzug mit Musik – eine Reminiszenz an den brasilianischen Karneval vielleicht – vorüberzieht. Wir sehen Stefan Zweigs Ende, das Ensemble legt sich nach und nach selbst in die nun leeren Regalfächer. Die Guten unterliegen, ist das die traurige Moral der Geschicht(e)?