Kritik

Ich vermisse jeden Tag die Frau, die ich gewesen wäre

Wer wäre sie, wenn sie sich nicht verbogen hätte, um von Männern gemocht zu werden? Das fragt sich Sophie Passman in dem auf dem gleichnamigen Roman basierenden Stück Pick me Girls, das unter der Regie von Christina Tscharyiski am Berliner Ensemble am 17.10.24 Premiere feierte.

Foto oben: Jörg Brüggemann
Beitrag von: am 18.10.2024

Der Abend startet mit einem „kultigen“ Auftritt, wie Sophie Passmann es im Anschluss selbst benennt. Bühnennebel, Diskolicht, ein Taylor Swift Song und explodierende Konfettikanonen, als Passmann, von lautem Applaus begleitet, durch den obligatorischen BE-Glitzervorhang winkend die Bühne betritt. Auf der Bühne ein großer, muschelartiger, verspiegelter Fächer auf einem pinken Plateau und ein Mikrofon (Bühne: Janina Kuhlmann). Hier findet nun ein 1 ½-stündiger Solo-Abend von Sophie Passmann statt, in dem sie darüber redet, wie unmöglich es ist, eine Frau zu sein und wie sie darüber den Verstand verloren habe.

Die Vorstellung erinnert oft an ein Stand-up-Comedy Programm und dementsprechend ausgelassen ist auch die Stimmung im Saal. Passmann erzählt auf humoreske Art von ihrem Großwerden als dickes Kind, wie die Schönheitsideale von tumblr sie in die Essstörung trieben und von unangenehmen Foto-Shootings mit zu kleinen Klamotten. Für viele bestimmt (bis auf den letzten Part) sehr relatable.

Die „Eine“

Das Aufwachsen als Frau in einer misogynen Gesellschaft und das unabdingliche Scheitern daran ist eine Erfahrung, die alle Frauen miteinander teilen. Und die viele Frauen zu Pick me Girls macht – zu Frauen, die sich von anderen Frauen abgrenzen, um Männern zu gefallen. Frauen hassen sie (es kann ja nur eine anders als die anderen sein!), Männer hingegen lieben Pick me Girls, analysiert Passmann. Da sie zwar Frauen wollen, aber Weiblichkeit hassen, ist natürlich eine Frau, die sagt sie sei anders als die „normalen“ Frauen perfekt.

Als Passmann eine Liste vorliest, was sie schon alles getan hat, um von Männern gemocht zu werden, schwingt die Stimmung langsam um. Es ist einer der ruhigen, verletzlichen Momente des Stückes. In uns allen stecke eine Frau, die wir geworden wären, wenn wir nicht unbedingt Männern hätten gefallen wollen. Wer wären wir, wie wären wir, wenn wir in einer Gesellschaft groß geworden wären, in der Male Validation keine Rolle spielt? „Ich vermisse diese Frau in mir, die ich eigentlich gewesen wäre“, sagt Passmann und doch ist die Frau, die man trotzdem geworden ist, die spannendere.

Um Kritik an Passmann selbst geht es auch – Taylor Swifts „I’m the problem it’s me“ das zu Beginn des Stückes läuft, wird auch immer wieder wörtlich genommen. „Sophie, was sagst Du eigentlich zu der Kritik damals, du hast ja vor 3 Jahren mal… und da hast Du dich nie zu geäußert. War ja im Grunde problematisch“, äfft Passman ihre Kritiker:innen nach und beruhigt im Anschluss: wir hätten ja jetzt genug Zeit um sie zu kritisieren. In den Kritiker:innen Modus fällt sie während des Stückes immer wieder, bezeichnet sich selbst als „Champagner-Feministin“ und behauptet, linke Frauen würden es ja eh lieben, andere linke Frauen im Internet zu „ertappen“.

Selbstdarstellung überwiegt

Die wirklichen Kritikpunkte an ihr, thematisiert Passmann im Laufe des Abends dann aber nicht. Ein ständiges darauf anspielen ist zwar auf eine Art selbstreflektiv, aber kein Statement oder ein produktives Auseinandersetzen mit Kritik, sondern ein bloßes darüber lustig machen. Man macht es sich wirklich sehr leicht, wenn jegliche Kritik an einem als Person als blanker Frauenhass abgetan wird. Passmann als Feministin und Frau werde halt immer klein gehalten und die Logik der Kritiker:innen sei schlichtweg: „Je mehr Frauen ihr Maul halten, desto besser für den Feminismus.“ Dieses Argument erinnert unangenehm an die Boomer-Logik à la „man darf ja gar nichts mehr sagen“.

Der große gesellschaftliche Kontext des Feminismus wird leider nur selten aufgemacht. Es überwiegt die Selbstdarstellung und der persönliche Erfahrungsbericht, was den Abend erstaunlich unpolitisch macht. Aber vielleicht reicht den Macher:innen auch genau das. Ein Schlüsselmoment war für Passmann, als ihre in ihren Augen wunderschönen Freundinnen zugaben, dass auch sie eine Essstörung haben und unter Dysmorphophobie leiden. Es helfe Passmann, Dinge auszusprechen und zu merken, dass es anderen Menschen auch so geht. „Wenigstens haben wir uns“, schließt Passmann ihren Monolog.

 

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Porträt von Violetta Zwick

© privat

Violetta Zwick wurde 2001 in Saarbrücken geboren und wuchs in Oberhausen auf. Sie studierte Deutsche Literatur und Europäische Ethnologie an der HU Berlin. Nebenbei sammelte sie Erfahrungen im Theaterbereich durch Hospitanzen am Theater Dortmund und am Deutschen Theater Berlin, sowie beim Suhrkamp Theater Verlag. Erste Erfahrungen als Kritikerin, konnte sie bei den Autor:innen Theatertagen 2024 am Deutschen Theater machen. Violettas Interesse liegt vor allem bei Inszenierungen, die aktuelle Themen der Gegenwart klug und/oder humorvoll wiedergeben.