Teilnehmende der Pre-School für Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule

Thema

Raus aus dem Elfenbeinturm

Noch unterscheidet sich der Blick in einen U-Bahn-Waggon sichtlich von dem auf die Theaterbühne: Denn viele Schauspielensembles sind noch nicht so divers, dass die Bretter, die die Welt bedeuten, diese Welt auch realistisch abbilden könnten. Um das zu ändern, hat die Otto-Falckenberg-Schule nun die Pre-School ins Leben gerufen: Einen Schnuppertag für all diejenigen, die in der Theater-Bubble bislang unterrepräsentiert sind. Katharina Mühl war für uns am 1. März dabei.

Foto oben: Katharina Mühl
Beitrag von: am 07.03.2025

Rund 140 Augen sind neugierig auf Malte Jelden, den Direktor der Otto-Falckenberg-Schule in München, gerichtet, als er die 70 Teilnehmenden zur ersten Schauspiel-Pre-School Deutschlands begrüßt: „Ich hoffe, es wird ein aufschlussreicher Tag für euch. Es geht darum, sich kennenzulernen – dass ihr erlebt, was wir hier machen und überlegen könnt, ob das etwas für euch ist.“

An dem Tag können also all diejenigen einen Blick hinter die Kulissen der Schauspielschule werfen, für die der Wunsch, Schauspiel zu studieren, noch mit einem Fragezeichen versehen ist – auch, weil sie sich bislang am Theater nicht repräsentiert fühlen. Damit sind Studieninteressierte gemeint, die von der Norm der klassischen Schauspielschul-Bubble abweichen: Nicht-deutsche-Muttersprachler:innen, die queere Community, Menschen mit einer körperlichen Behinderung oder Bewerber:innen, die sich ein Studium aus finanziellen Gründen nicht leisten könnten.

Das Potenzial der Vielfalt

Denn auch die Theater wünschen sich vielfältigere Ensembles. Deren Potenzial werde mehr und mehr erkannt, erklärt der Diversitätsbeauftragte der Otto-Falckenberg-Schule, Murali Perumal: „So gibt es mehr Identifikationsfiguren für Zuschauer:innen, die sich dann selbst repräsentiert sehen. Dadurch wird das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft gestärkt.“

Dabei spielt aber natürlich auch eine Rolle, dass marginalisierte Gruppen nicht so besetzt werden, dass Stereotype reproduziert werden, wie die Pre-School-Teilnehmerin Nui Nguyen beschreibt: „Dass man die Asiat:innen-Rolle also nicht so zeigt, wie man sie sich klassischerweise vorstellt – als fleißig, höflich und schüchtern, sondern, dass das auch eine Krawallbürste sein kann, die Selbstbewusstsein zeigt.“

Nui Nguyen Nui Nguyen © Katharina Mühl

Nui arbeitet bereits als Schauspielerin und steht unter anderem regelmäßig für die Serie „Dahoam is Dahoam“ des Bayerischen Rundfunks vor der Kamera. Bühnenerfahrung hat sie aber noch keine gesammelt. Deswegen will sie nun herausfinden, ob sie sich auch in der Theaterwelt so zuhause fühlt, dass sie sich für die Aufnahmeprüfung zum Schauspielstudium anmelden möchte.

Studium in kleinen Häppchen

Um ihr die Entscheidungsfindung zu erleichtern, serviert ihr die Schule bei der Pre-School kleine Häppchen aus vier verschiedenen Elementen des Studiums: Wie im Zirkeltraining werden alle Teilnehmenden in vier Gruppen eingeteilt und durchlaufen abwechselnd dreißigminütige Einheiten in Singen, Sprechen, Bewegung und Schauspiel.

Nuis Stundenplan startet mit Schauspiel. Dahinter verstecken sich grundlegende Übungen, die die Sensibilität und Wahrnehmung für den Raum und die Spielpartner:innen schärfen sollen. Heißt übersetzt: Die Teilnehmenden sollen über die Probebühne laufen und dabei ein Gespür für die Gruppe aufbauen, sodass sie ohne Worte gemeinsam zum Stehen kommen und auch gleichzeitig wieder losgehen können.

Bewegungs-Kurs in der Pre-School der Otto-Falckenberg-Schule Bewegungs-Kurs in der Pre-School der Otto-Falckenberg-Schule © Katharina Mühl

Über den Mut, aus sich herauszukommen

In einer anderen Übung denkt sich jede Person einen Satz in einer Fantasie-Sprache aus, den sie gemeinsam mit einer Bewegung in die Runde schickt und den alle kopieren. „Ay Caramba“, ruft Nui, schwingt die Hüften und sieht dabei so entspannt aus, dass man ihr sofort glaubt – wie sie nach Kursende erzählt –, dass sie bereits durch das kurze Training ihre Scham vor der Theaterbühne ablegen konnte: „Alles ist größer und ausgestellter und man muss mehr Mut haben, aus sich rauszukommen. Aber man hat gemerkt, dass man auch etwas für den eigenen Kopf Lächerliches machen darf, ohne es zu bewerten, weil alle anderen es auch machen werden.“

Weiter geht es mit einer Kostprobe des Bewegungs-Unterrichts. Hier steht Partnering im Fokus: Die Teilnehmenden experimentieren in Zweier-Teams, wie es sich anfühlt, den Bewegungsimpulsen des anderen zu folgen und lassen sich wie Marionetten durch den Raum führen. „Ach schön“, seufzt Nui nach Kursende. Und verrät, dass sie nun dazu tendiert, sich für das Schauspielstudium zu bewerben. Auch wenn trotzdem noch eine gewisse Unsicherheit da sei.

Noch bleiben ihr Singen und Sprechen, um diese abzulegen. Das sind die beiden Kurse, aus denen Tom Dieu gerade kommt. Auch er ist Teilnehmender der Pre-School, ist sich aber anders als Nui bereits ganz sicher, dass er Schauspiel studieren möchte. Dafür hat ihm der Aufruf der Otto-Falckenberg-Schule Hoffnung gegeben: „Das fand ich spannend, weil sich die Theaterwelt ja ändert und ich die Inklusion mit großer Erwartung beobachte und mich freue, dass ich als asiatischstämmige Person da vielleicht auch meinen Platz finden kann.“

Als Tom von seinen ersten beiden Kursen erzählt, spürt man das Prickeln, das sie in ihm ausgelöst haben. Auch in Sprechen und Singen wurden grundlegende Einblicke gegeben, um zu zeigen, dass Stimmen durch die richtige Technik formbar sind und jede:r Stimmführung lernen kann.

Der Tag wirkt wie eine Einladung der Otto-Falckenberg-Schule, auch die nächste Hürde zu meistern: Die Aufnahmeprüfung zu bestehen, um von der Pre-School auf die echte Schauspielschule zu kommen. Tom wird sie in jedem Fall wahrnehmen: „Da wird etwas angeteasert, aber das ist die Spitze der Spitze des Eisbergs. Das brennt einem in den Fingern, ich möchte mehr wissen, mehr erfahren, mehr davon fühlen.“

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Katharina Mühl

Katharina Mühl © privat

Katharina Mühl wurde 1996 in München geboren. Sie hat Literatur-, Theater- und Kunstwissenschaften in Berlin studiert und dabei diverse Erfahrungen an Theatern wie der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz oder dem Deutschen Theater Berlin gesammelt. Ihre Faszination für gute Geschichten hat sie schließlich zum Journalismus gelockt, weswegen sie seit Januar 2025 ihr Volontariat beim Bayerischen Rundfunk absolviert.