„Dingens“ am Schauspiel Frankfurt

Kritik

Selbstbestimmung, Spiel und Stolz

Sapir Hellers Inszenierung von Hanoch Levins „Dingens“ am Schauspiel Frankfurt erkundet auf einem Spielbrett die sozialen Hierarchien unserer Welt. Premiere: 14.2.2025

Foto oben: Robert Schittko
Beitrag von: am 15.02.2025

„Ich bin tief getroffen. Als Mensch, als Mutter und als Frau mit Fisch.“ Zusammenhanglos wirkend auf den ersten Blick, verbindet dieses Zitat aus Hanoch Levins „Dingens“ doch mit großer Präzision die zentralen Themen in Sapir Hellers Inszenierung, die in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt Premiere feierte. Was bedeutet Humanität? Welche Macht darüber haben soziale Hierarchen inne und was braucht man, um von sich behaupten zu können, glücklich zu sein?

Der Titel der Tragikomödie verweist bereits auf den Ansatz einer Gesellschaft der Verdinglichung, in der der namenlose und dabei ironischerweise namensgebende „Dingens“ in realistischer Absurdität erlebt, dass das Glück des einen nur auf Kosten eines anderen zu haben ist. Dingens, gespielt von Christoph Barnmüller, wohnt bei dem Ehepaar Teigalech (Uwe Zerwer) und Klamanope (Katharina Linder) zur Untermiete und erfährt durch Zufall von der Hochzeit deren Tochter Fogra (Lotte Schubert). Seine Kränkung ob der fehlenden Einladung ist der Beginn seiner Rebellion gegen die Missachtung und hierarchischen Ordnung in seinem Umfeld. Der verzweifelte Dingens beschließt, nach einigen gescheiterten Versuchen der Auflehnung seinen Selbstmord in Form eines Sprunges vom Dach zu verkünden. Er erhofft sich dabei Rettung durch Mitleid, welches in den sozialen Strukturen, in denen er gefangen ist, jedoch ausbleibt.

Mensch ärgere Dich nicht …

Dieses unerschütterliche, starre Konzept lässt sich auch in der Ausstattung der Inszenierung wiederfinden. Die Bühne, erinnert an ein (unvollständiges) Spielbrett, das die Anordnung eines „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Feldes zeigt und teilweise auch als solches bespielt wird. Hier werden Szenen aus Dingens Leben vorgespielt: von dem Ehepaar Teigalech und Klamanope, später auch von Fogra, sowie seinem einzigen Freund Adasch Bardasch (Philipp Lind) und der Kellnerin Hannah Tcherlitch (Viktoria Miknevich), deren zarte Hoffnung auf Liebe immer wieder neu im Keim erstickt wird.

Passend zu der Spielbrett-Ästhetik, die gleichzeitig auf die infantile Rohheit verweist, in welcher die Figuren stets Ehrlichkeit vor Empathie priorisieren, haben Ursula Gaisböck und Sophia Profanter ein Kostüm gestaltet, das sowohl die Spielfiguren in Form von Schachfiguren repräsentiert, als auch auf geometrische Formen hinweist. Ein weiterer Verweis auf die Stellung in der sozialen Ordnung ist subtil auch in der Höhe der Schuhe zu erkennen. Je höher der Absatz, desto höher die gesellschaftliche Position. Dingens selbst geht in Socken, passt sich dabei jedoch als einzige Figur an das Schwarz-Weiß-Bild der Bühne an, während die restlichen Kostüme sich deutlich in bunten Farben abheben.

Hellers Inszenierung, die in immer wieder herausbrechender Kindlichkeit die Relevanz von Zusammengehörigkeit in einer Gemeinschaft porträtiert, wirft zudem die Frage auf, wer die Stellung der einzelnen Figuren in diesem Spiel bestimmt und von wem sie gelenkt werden. So fallen große schwarze Bälle von gehängten Traversen auf die Bühne, die sich ebenso wie die Schauspieler:innen als Spielbälle verstehen lassen. Die Figuren werden vom Fall der Bälle überrascht, geben an anderen Stellen jedoch klare Zeichen an die Technik, schnipsen beispielsweise für den Start der Musik und weiten somit den Kreislauf der Hierarchien auch auf die Technik aus.

Zwischen Machtspielen

Auf die Frage, wessen Spiel wir hier erleben, wäre die korrekte theaterkontextgebundene Antwort: das der Regie. In diesem Fall ließe sich leicht die deutliche Kritik an hierarchischen Strukturen und deren Auswirkungen auch auf eine bestehende Stadt/- Staatstheaterstruktur übertragen. Mit einem mehrmaligen Bruch der „vierten Wand“ und der direkten Ansprache an das Publikum, dem sich Dingens auch erbarmungslos ausliefert, wird allerdings klar, dass das karikativ dargestellte Verhalten der Figuren auch auf einen viel größeren Rahmen anwendbar ist und die Macht einer Masse niemals unbedacht mit demokratischen Handlungen gleichgesetzt werden darf. Die Kellnerin formuliert es mit den Worten: „ich werde zumindest gebraucht“ und somit ist das, was uns am Ende wirklich glücklich werden lässt, wohl nicht die Macht über andere, sondern die Verantwortung für einen selbst.

 

Porträt einer Frau mit blonden Haaren und Brille

Marie-Luise Wenzel © privat

Marie-Luise Wenzel wurde 2003 in Ulm geboren. Nach ihrem Abitur sammelte sie praktische Erfahrungen in Dramaturgie und Regie an verschiedenen Theatern und einer Filmproduktionsfirma. Aktuell studiert sie Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und veröffentlicht dort regelmäßig Texte.