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Sechs Fragen an drei Nominierte für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST

Am 26. November findet die Verleihung des Deutschen Theaterpreises DER FAUST statt. Die Regisseurin Mable Preach, die Bühnenbildnerin Sarah-Katharina Karl und der Schauspieler Eidin Jalali sind dieses Jahr alle in neu aufgestellten Kategorien nominiert. Unsere Autorin hat mit ihnen darüber gesprochen, wofür sie Theater machen, was sie mit ihrer Arbeit erreichen wollen und wie sie mit Kritik umgehen.

Foto oben: William Minke, Maïscha Souaga, Silke Winkler
Beitrag von: am 01.11.2022

Das Zoom-Interview ist extra für den späten Nachmittag angesetzt, damit Eidin, der gerade in New York ist, nicht allzu früh aufstehen muss. Mable ist aus Hamburg und Sarah aus Basel, wo sie gerade mitten in der Probenarbeit für eine Inszenierung des Theater Basel steckt, zugeschaltet. Mable ist in der Kategorie „Genrespringer“ für die Produktion „Emb*race your crown**“ des Kampnagel Hamburg, die sich mit anti-rassistischen Strategien aus einer jungen und weiblichen Perspektive auseinandersetzt, für den FAUST nominiert; Sarah in der Kategorie „Raum“ für „Le Grand Macabre“ des Mecklenburgischen Staatstheaters. Bei dieser Inszenierung sitzt das Publikum selbst auf der Drehbühne rund um das Geschehen. Und Eidin erhält die Nominierung in der Kategorie „Darsteller:in für junges Theater“ für „Die Leiden des jungen Azzlack“ am Schauspiel Leipzig, einem Monolog, in dem es um Azzlack geht, der durch seinen Migrationshintergrund und Namen mit Vorurteilen, Erwartungen und Zuschreibenden zu kämpfen hat. Ich bin gespannt, einen kleinen Einblick in die verschiedenen Arbeitsbereiche und die Erfahrungen aller drei Interview-Partner:innen zu bekommen.

Wie war das, als ihr von der Nominierung erfahren habt?

Mable: Ich habe mich natürlich gefreut, als ich davon erfahren habe.

Sarah: Gefreut habe ich mich auch. Der Intendant vom Mecklenburgischen Staatstheater hat mir das mitgeteilt. Ich wusste, dass ich vorgeschlagen war, habe aber nicht damit gerechnet, das Mecklenburgische Staatstheater ist ja auch ein eher kleineres Theater.

Eidin: Ich kannte den Preis nicht, habe ihn dann gegoogelt und da war er irgendwo als „Oscar der deutschen Theaterbranche“ beschrieben, da dachte ich, nice! Mir hat das sehr viel bedeutet, vor allem weil ich für „Die Leiden des jungen Azzlack“ nominiert bin, das von meinem besten Freund Marco [Damghani] geschrieben und inszeniert wurde und wo es sehr viel um unsere Geschichte und Identität als migrantisierte Personen geht. Ich muss aber dazu sagen, dass wir es lustig fanden, dass das Stück in der Kategorie „Darsteller:in für junges Theater“ nominiert ist. Marco und ich hatten schon immer die Absicht, Theater zu machen, das auch junge Leute anspricht, aber durch „Die Leiden des jungen Azzlack“ zieht sich eine Anklage, die sich klar an das klassisch elitäre Theaterpublikum richtet, welches viel weniger für unsere Themen sensibilisiert ist als die junge Generation. Wenn man das Stück also labeln möchte, würde ich eher sagen, das ist Theater für ein älteres Publikum.

Die Leiden des jungen Azzlack, Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold

Was bedeutet für euch eine gute Regie, ein gutes Schauspiel, ein gutes Bühnenbild?

Sarah: Ich komme ursprünglich aus der Architektur und habe lange als Architektin gearbeitet. Architektur und Bühnenbildnerin sein hat für mich sehr viel miteinander zu tun. Im Prinzip nimmt man immer verschiedene Parameter zur Hand, um daraus einen künstlerischen Ansatz zu entwickeln. Man schaut sich den Raum, den Ort oder die Bühne an, egal ob man das als Blackbox behandelt oder als Raum, wie ich das bei „Le Grand Macabre“ gemacht habe. Und man nimmt den Inhalt, den man erzählen möchte und sucht nach Themen, die man vermitteln will. Und dann kommt eine gute Portion Handwerk dazu. Im Prinzip sind es also Ort und Inhalt, die das Ganze ausmachen.

Mable: Ehrlich gesagt mache ich, was ich eben mache. Es kommt natürlich immer darauf an, mit wem man arbeitet, welche Künstler:innen und Darsteller:innen man hat und welche Themen man behandelt. Was für mich immer wichtig ist, ist dem zuzuhören, was meine Darsteller:innen wollen und was sie von sich erzählen wollen. Eine Regie, eine Regisseur:in allein ist noch lange kein Stück, dafür braucht es immer mehr Menschen.

Eidin: Ich bin dankbar über das, was Mable sagt, ich sehe das genauso. Es ist wichtiger, über die Rahmenbedingungen zu sprechen als über die Performance von einzelnen Personen, weil das eine immer vom anderen abhängt. Ich bin kein Regisseur, aber durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe, fängt das im Idealfall schon damit an, dass man sich überlegt, was ich überhaupt erzählen und warum ich das erzählen will. Und dann, wie Mable sagt, den Leuten nicht eine eigene Vision aufzwingen, sondern gemeinsam eine Vision zu entwickeln. Ich verstehe mich nicht als Dienstleister, sondern als Künstler. Ich brauche keine:n Regisseur:in, die/der mir sagt, was ich wie zu spielen habe, sondern jemanden, die/der meine Impulse wahrnimmt. Das verlangt natürlich auch Schauspieler:innen, die bereit sind, sich auszuprobieren, zu scheitern, sich zu blamieren, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen und die eigenen Grenzen auszutesten. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das automatisch der Fall ist, wenn die Schauspieler:innen am Entscheidungsprozess und der Stückentwicklung aktiv beteiligt sind.

Le Grand Macabre © Silke Winkler/Mecklenburgisches Staatstheater

Was wollt ihr mit eurer Arbeit erreichen und mit den Themen die ihr auf die Bühne bringt?

Mable: Vorrangig geht es mir darum, meine Leute zu empowern, die auf der Bühne sind. Es geht darum, unsere Themen auf die Bühne zu bringen, sie und mich zu empowern und dann irgendwann auch das Publikum. An erster Stelle ist mir wichtig, dass sich mein Team wohlfühlt, nur so kommt eine gute Arbeit dabei heraus.

Sarah: Ich möchte natürlich für mich relevante Themen erzählen. Ich komme aus dem Musiktheater, wo man oftmals Stücke hat, die schon sehr alt sind und vielleicht das aktuelle Thema erst gesucht und gefunden werden muss: Was ist die heutige Relevanz und warum spielt man das überhaupt noch und macht es Sinn, das zu spielen. Es ist immer wichtig, das zu finden, was mich als Mensch betrifft und was ich mit dem Stück vermitteln will. Darüber schafft man es am besten, die Leute auch unterbewusst zu berühren oder auch für Themen zu sensibilisieren.

Eidin: Das wäre der Idealfall, das will ich mit meiner Arbeit auch erreichen. Mittlerweile habe ich aber einen pessimistischeren Ansatz, weil ich eingesehen habe, dass ich mit meiner Arbeit als Schauspieler nicht die Welt verändern kann. Zumindest nicht so wie jemand, die/der sich dem politischen Aktivismus oder der sozialen Arbeit verschrieben hat oder so. Was ich zumindest im Staats- und Stadttheaterbetriebskontext verändern will, ist, Theater zu einem Ort zu machen, der die unterschiedlichen Lebensrealitäten in diesem Land endlich anerkennt und das Programm an diese anpasst.

Wodurch bist du zu dieser Ansicht gekommen?

Eidin: Es müsste mittlerweile selbstverständlich sein, dass sich alle längst mit Themen wie Rassismus und Diskriminierung auseinandergesetzt haben und trotzdem ist das noch lange nicht der Fall. Deshalb müssen wir leider immer wieder Menschen, die nicht davon betroffen sind, damit konfrontieren. Die positiven Veränderungen, die bisher stattgefunden und dazu geführt haben, dass ich jetzt überhaupt hier sitze und für einen Preis nominiert bin, das habe ich Leuten zu verdanken, die diese Arbeit vor mir geleistet haben. Dass wir und unsere Geschichten so langsam wahrgenommen werden, sich die Repräsentation von nicht-weißen Menschen auf und hinter der Bühne ein wenig gebessert hat, sowas wie Anti-Rassismus-Workshops eingefordert werden können, dafür haben andere Betroffene vor mir hart gekämpft. Ich habe auch den Anspruch, das weiter zu tun, damit sowas vielleicht irgendwann selbstverständlich ist.

Mable: Ich würde dir gerne sagen, Eidin, dass du die Welt auf jeden Fall veränderst. Ich weiß nicht, warum du denkst, dass du das mit deinem Schauspiel nicht tust. Representation matters, es ist so wichtig für junge Leute, dass jemand wie du auf der Bühne steht. Auch wenn bestimmte Veränderungsprozesse noch nicht in Gang gesetzt worden sind, macht das trotzdem so viel aus. Deswegen: never think that. Du veränderst die Welt, einfach dadurch, dass du diesen Kampf machst.

Emb*race your crown** © Florian Thoss und David Czinczoll

Wie geht ihr mit Kritik an eurer Arbeit um?

Mable: Kritik ist wichtig, wenn sie konstruktiv ist. Ich habe das Gefühl, wenn ich Kritik bekomme, hat das eher damit zu tun, dass mir gesagt wird, dass ich als schwarze Frau bestimmte Kunst nicht machen kann oder nur in eine bestimmte Richtung gehen kann. Das heißt, es muss etwas mit Rassismus zu tun haben. Was Theaterkritik angeht, da habe ich das Gefühl, dass alle gerade sehr sensibel und vorsichtig sind mit dem, was sie sagen, gerade weil ich eine schwarze Regisseurin bin. Dass, wenn sie mir Kritik geben, sofort die Rassismuskarte gezogen wird, dass das aber nichts über mein Handwerk aussagt. Ich bin noch nicht an den Punkt gelangt, wo man mich nur als Regisseurin sieht, sondern als schwarze Regisseurin.

Eidin: Das erinnert mich an eine Kritik, die ich einmal bekommen habe. Bei meinem allerersten Stück am Schauspiel Leipzig, „Der Besuch der alten Dame“, habe ich einen Polizisten gespielt und hatte Grillz, also Goldzähne, und dadurch einen leichten Sprachfehler, weil das so ein großes Plastikteil im Mund war. Und dann stand in einer der Kritiken, der Polizist könne kein Deutsch sprechen. Und ich habe den Polizisten nicht mit Akzent oder so gespielt, ihr könnt ja auch hören, dass ich keinen krassen Akzent habe. Wenn, dann einen bisschen österreichischen, weil ich Wiener bin. Ich kann mir vorstellen, dass die Formulierung nicht ganz unabhängig davon kam, dass da auf einmal ein „Kanake“ auf der Bühne des Schauspiel Leipzig steht. Kritik hängt bei mir sehr stark davon ab, von wem sie kommt. Bei allem Respekt, ich glaube, klassische Theaterkritiker:innen haben einen ganz anderen Anspruch an Theater als ich. Mir geht es nicht darum, eine besonders unkonventionelle Ästhetik zu erschaffen oder eine wahnsinnig originelle Spiel- oder Erzählweise zu finden, sondern eine Geschichte so zu erzählen, dass sie möglichst viele unterschiedliche Menschen anspricht.

Sarah: Ich kann mich da Eidin anschließen. Ich glaube, gerade in der Oper ist der Anspruch teilweise ein anderer und gerade, wenn man als Musiktheatermensch progressives Theater macht, kommen oftmals Kritiker:innen, die einen ganz anderen Anspruch haben und konventionellere Inszenierungen sehen wollen. Dann hat die Kritik oft nichts damit zu tun, ob das wirklich gut war oder nicht. Ich glaube Kritik innerhalb des Teams, des Regieteams ist total wichtig. Und dass man konstruktive Kritik aneinander übt und Selbstkritik.

Woher kommt die ehrlichste Kritik?

Mable: Von meinen Darsteller:innen, meinem Team.

Eidin: Von meinen Freund:innen wie zum Beispiel Marco, mit dem ich auch vor „Die Leiden des jungen Azzlack“ immer wieder zusammengearbeitet habe, weil wir eben einen ähnlichen Geschmack und Anspruch an Theater haben. Aber auch wenn Kolleg:innen von der Bühnentechnik oder eine Schulklasse oder meine Mutter nach einer Vorstellung zu mir kommen und mir sagen, dass sie das „scheiße“ fanden, weiß ich, dass ich beim nächsten Mal irgendwas anders machen muss.

Sarah: Innerhalb des Teams auf jeden Fall, da schaut man auf die Arbeit der anderen. Befreundete Dramaturg:innen, denen man vertraut und die den gleichen Anspruch an Theater haben. Es ist so die Kritik innerhalb des kleineren Kreises, der man vertraut und auf die man sich verlässt.