Übergänge lieben lernen
Atem verleihen, das ist eines der Dinge, die wir in der Ausbildung im Studienfach Zeitgenössische Puppenspielkunst als erstes lernen. Auf der Suche danach, was eine Puppe, ein Objekt be-lebt, ist das einer der wichtigsten Punkte: das Heben und Senken des Brustkorbs, Atem fällt ein und aus. Diese Grundregel gilt in der Arbeit mit Puppen ebenso wie im echten Leben – ans Atmen denken. Im besten Fall nicht grübeln, sondern den Atem gelöst sein lassen.
Daran denke ich im Moment viel, und muss mich manches Mal selbst erinnern. Denn die Phase, in der ich mich gerade befinde, im Übergang von der festen Struktur der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin, in die Berufswelt, hat es in sich. Atmen nicht vergessen – die Puppen, Objekte und Materialien, unsere Instrumente, mit denen wir arbeiten, erinnern uns daran.
Während eines Sonntagspaziergangs lasse ich meinen Blick schweifen und denke: was Übergänge angeht, macht die Natur es uns vor. Im ständigen Wechsel von einer Jahreszeit zur nächsten, raunt sie ‚halte deine Übergangsjacke parat, sodass du dich bedecken kannst, sobald ein Lüftchen weht, und sie ablegen kannst, wenn die Sonne die erste Wärme abgibt.‘
In der Theorie sind Übergänge also mit wetterfester Ausrüstung leicht zu handhaben. Meine Ausstattung ist in dem Fall das Werkzeug, das ich nun im Gepäck habe; wie die verschiedenen Wirkmechanismen einer Puppe funktionieren, wie wir Bewegungskompositionen aufschlüsseln, wie wir eine Stimmcharge finden, und was zu bedenken ist, in der Beziehung von Spielerin und Puppe.
Was den künstlerischen Zugang zum Puppenspiel angeht, fühle ich mich also wetterfest ausgestattet. Anstrengend finde ich schmelzenden Schnee zwischen Winter und Frühling trotzdem, und nach dem goldenen Herbst das Laub von den Bäumen segeln zu sehen, stimmt mich melancholisch.
Je länger ich darüber nachdenke, desto bewusster wird mir die Regelmäßigkeit von Übergängen, und der Raum, den sie zwischen den Jahreszeiten einnehmen. Überwiegen sie sogar? Etwas in mir fordert mich dazu auf, mich mit den Übergangen anzufreunden. Sind wir ehrlich, sind sie in der Darstellenden Kunst ebenso regelmäßig präsent wie zwischen den Jahreszeiten.
Beispielsweise im Fall der freischaffenden Tätigkeit im Hinarbeiten auf den nächsten Förderantrag. Oder an einem festen Haus, wenn neu über einen befristeten Ensemblevertrag entschieden wird. Dann dreht sich der Wind, führt womöglich in eine neue Stadt, ein neues Ensemble.
Wie das freie Arbeiten ist, habe ich zum Ende des vergangenen Jahres erleben können, als ich an fünf verschiedenen Projekten beteiligt war, die parallel liefen. Ihre Premiere hatten sie in versetzten Abständen, und im Wissen, dass ein paar Tage später die nächste Premiere anstand, blieb Anspannung durchgehend präsent.
Dieses Gefühl weckt Erinnerungen, an das Arbeitspensum in meinen ersten beiden Studienjahren, wo die Übergänge zwischen den Unterrichtseinheiten nahtlos verliefen. Da war gerade Zeit, eine Dattel und einen Schluck Wasser auf dem Weg durchs Treppenhaus zu mir zu nehmen, vom Sprechunterricht in den Bewegungsunterricht, von der Puppenführungstechnik in die Pantomime. Verschiedene Fächer buhlten um meine Aufmerksamkeit, und wollten mit der gleichen Fürsorge behandelt werden.
Oder die Zeit zwischen unseren Prüfungsvorspielen – Szenenstudium folgte dicht an Szenenstudium, kaum war eines vorbei, schloss sich das nächste an. Figurenspiel in allen Facetten konnten wir so kennenlernen, vom Spiel mit Halb- und Vollmaske, über die Fadenmarionette, bis hin zur Großpuppe, die von mehreren Menschen gespielt wird.
War ein Vorspiel vorbei, kam jedes Mal ein bisschen Wehmut auf – auch deshalb, weil die Probenwochen so intensiv waren, dass sich das Danach wie Fallen anfühlte. Ein Gefühl, das ich mittlerweile gut kenne, und über die Jahre meiner Ausbildung habe ich gelernt, es einzuordnen.
Man kann nicht jedes Mal traurig sein, dass eine Arbeit vorbei ist. Aber es ist gut, im Bewusstsein zu haben, dass es Kurven gibt – über Wochen laufen die Proben stetig auf die Premiere zu, die Anspannung steigt, in Form von Vorfreude und Nervosität, dann kehrt wieder Ruhe ein.
Als dann, nach all den Szenenstudien unser eigenverantwortlich umgesetztes Projekt anstand, das Vordiplom, herrschte zunächst die Frage: „Wo fange ich an, wo höre ich auf.“ Sich plötzlich auf eine Richtung, eine Idee festzulegen, und daraus ein Stück umzusetzen, war nach all den ästhetischen Möglichkeiten, die uns im Unterricht aufgezeigt wurden, herausfordernd.
Dass ich mit Bewegung arbeiten wollte, wusste ich schnell, und so erarbeiteten wir ein Duett, in dem wir Text, Bewegung und Marionettenspiel miteinander verflochten haben. Ein Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, in Projekten selbst als Spielerin zu stehen, und sie auch als Organisatorin und Konzeptorin zu überblicken – der Anteil der Arbeit auf der Bühne und der organisatorische im Hintergrund hält sich beinahe die Waage.
Anschließend ging es für mich ein Semester lang nach Frankreich, an die École Supérieure Nationale des Arts de la Marionette, wo ich das Glück hatte, mit einer offenherzigen Klasse zu studieren, und die französische Herangehensweise ans Theater erleben konnte. Eine Erfahrung, die ich ans Herz legen kann – besonders in unserem Feld, das von der Internationalität lebt, und Stücke schafft, die über Worte und Kulturen hinaus Menschen miteinander verbinden.
Nach dieser Verbindung, suche ich in meiner aktuellen Arbeit, meinem Diplomstück, das ich im kommenden Semester im April zeigen werde. Es wird ein deutsch-französisches Format, der internationale Faden setzt sich also fort. Wieder finde ich mich in einer ähnlichen Situation wie im Vordiplom; mehrere Posten wollen gleichzeitig erfüllt, und künstlerische Entscheidungen getroffen werden. Diesmal mit der Gewissheit, dass es mir beim letzten Mal bereits gelungen ist.
Parallel dazu finden Vorsprechen an Theaterhäusern statt, für Festengagements, sie sind Gelegenheit dazu, ein künstlerisches Netz aufzuspannen, in Kontakt zu kommen und sich vorzustellen. Viel heißt es dann, auf Antwort warten, und darauf vertrauen, dass sich die Übergänge fügen werden. Ein Faktor, der mich merken lässt, wie notwendig es ist, im Leben wie im Spiel, Kräfte immer wieder neu auszuloten, Kapazitäten zu verhandeln, den eigenen Standpunkt zu finden, der Stand verleiht.
Ganz neben den ökonomischen Fragen, die sich jetzt auftun. So unromantisch das klingt, aber auch hier liegt eine Herausforderung. Ein Thema, was bisher in der Ausbildung nur gestreift wird – und hoffentlich zusehends in den Fokus rückt, ergänzend zur künstlerischen Exzellenz. Schließlich haben wir alle zum Ziel, von unserer Arbeit leben zu können.
Dafür ist die Arbeit mit Objekten, Materialien und Puppen Gold wert. Sie sind, wie eingangs erwähnt, ständige Erinnerung daran, bei klarem Atem zu bleiben. Das Element, das uns über das Studium hinaus verbindet – jetzt, da wir in unserem Jahrgang alle in verschiedene Richtungen ausschwärmen. Wir sehen uns auf der Bühne.
Leah Wewoda wurde 1998 im Landkreis Heilbronn geboren. Derzeit studiert sie Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, sowie als Gaststudentin in Charleville-Mézières, Frankreich, an der École Supérieure Nationale des Arts de la Marionnette. Ausgehend vom Studienaufenthalt in Frankreich, ist es ihr Anliegen, Elemente der französischen und der deutschen Theaterwelt zusammenfließen zu lassen. Dabei interessiert sie die Zusammenkunft verschiedener Sparten, hierin liegt für sie das Potenzial des künstlerischen Bühnenschaffens.
Foto: Laura de Angelis