Dieser Text ist ein kleiner Vorgeschmack auf die kommende Ausgabe der jungen bühne, die Ende September erscheint. Darin erfahrt ihr noch mehr über die Münchner Studierenden.
Konstantin Schumann kennt es nicht anders. Schon seine Aufnahmeprüfung im Mai fand unter Corona-Bedingungen statt. Beim Vorspielen in der Endrunde war in der Mitte der Bühne ein 1,5 Meter breiter Graben, damit sich die beiden Spielenden nicht zu nahe kommen. Konstantin wurde aufgenommen. Seit einem Jahr studiert er Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule in München, viel vor Ort war er nicht. Präsenzunterricht war eher die Ausnahme, Zoom die Regel. Die normale Schul- und Feierkultur hat Konstantin nie erlebt. „Wir wissen nicht, was wir verpassen“, sagt er. Erst jetzt, wo der Unterricht unter Auflagen wieder in Präsenz stattfindet, erkennt er „die Dimension von dem, was wir verpasst haben, was hätte sein können“.
Wie ihm ging es den meisten Studierenden. Im ersten Lockdown wurde alles in den digitalen Raum verlegt. „Wir mussten da auch erstmal Erfahrungen sammeln“, erzählt Jochen Schölch, der den Studiengang Schauspiel an der Theaterakademie August Everding leitet. „Theorie geht natürlich gut, auch Stimmbildung und Sprechunterricht funktionieren einigermaßen. Bei der Bewegungsarbeit wird’s schwierig, da kann man per Zoom nur sehr bedingt erkennen, was die einzelnen machen.“
Für einige war diese Zeit besonders schwer. Daniela Gancheva beispielsweise kam im Oktober 2019 aus Bulgarien für den Masterstudiengang Schauspiel an die Theaterakademie. In ihrer Heimat hatte sie schon am Nationaltheater gespielt, wollte sich aber mehr mit experimentelleren, postdramatischen Formen beschäftigen, die sie dort nicht gefunden hat. In München wollte sie neben dem Studium „jeden Tag ins Theater gehen“ und sich ein Netzwerk aufbauen. Dafür investierte sie ihr ganzes Geld. Statt viel zu erleben, saß sie dann in München alleine in ihrem Zimmer. „Ich war an der Grenze zur Depression“, sagt sie, „habe es aber mit der Hilfe von Jochen Schölch in den Griff bekommen.“ Nun will sie versuchen, vielleicht noch bei dem einen oder anderen Projekt in München oder Berlin unterzukommen. Um ein wenig von dem nachzuholen, was sie verpasst hat.
Auch für Roberta Monção gibt es keinen Zweifel: „Der Lockdown war furchtbar!“ Sie kommt aus Brasilien, studiert Musical an der Theaterakademie. Auch sie hat ihr ganzes Leben „geändert“, um hier sein zu können. In ihrem 12-Quadratmeter-Wohnheim-Zimmer hat sie im Lockdown versucht, vor dem Bildschirm zu tanzen und zu steppen. „Das ging einfach nicht. Online-Unterricht ist das Schlimmste für die Kunst, ich bin hart dagegen“, sagt sie überzeugt. „Alle haben gesagt, das ist besser als nichts. Aber nein: Nichts ist in dem Fall besser.“ Sie kam gar nicht klar damit, bekam vor Stress eine Gürtelrose. Jetzt ist sie einfach nur dankbar, wieder in Präsenz lernen zu können. Nach dem Studium möchte sie unbedingt fest in ein Ensemble. Auch wenn sie im Moment schon „große Zukunftsangst“ hat.
Auch Jan-David Bürger, der Schauspiel an der Theaterakademie studiert, empfand den Online-Unterricht als Herausforderung. Drinnen war es zu eng, wenn er auf dem Balkon übte, wurde er von Nachbarn angebrüllt, die gestresst versuchten, im Homeoffice zu arbeiten. „Es war einfach zu viel auf zu kleinem Raum, alles hat sich gebündelt, es gab keine Trennung mehr“, sagt er. Als sie in die Akademie zurück durften, war er total motiviert: „Wir haben extrem viel nachgeholt, ich habe wirklich gespürt, wie es bei mir vorangeht.“ Natürlich hat er ein „unwohles Gefühl“, wenn er daran denkt, dass er im Herbst auf einen Arbeitsmarkt trifft, der wenig freie Stellen an den Theatern bereit hält. Schließlich war in der Corona-Zeit froh, wer ein Festengagement hatte. Kaum jemand hat gekündigt. Trotzdem will er an seinem Traum, als Schauspieler ans Theater zu gehen, festhalten: „Das ist mein Ziel.“
Sein Kommilitone Benedikt Kosian dagegen hat seinen Traum während des vergangenen Jahres kritisch hinterfragt. Seinen Job als Bühnentechniker konnte er während der Theaterschließungen natürlich nicht mehr machen, auf einmal ging es hauptsächlich darum, sich finanziell über Wasser zu halten. „Das hat viel Energie und Motivation gekostet“, sagt er. Obwohl er im Sommer eine Rolle am Münchner Volkstheater spielen durfte, hat er nun beschlossen, nach seinem Abschluss noch Kulturmanagement studieren: „Der Gedanke war schon vorher da, aber durch Corona ist das Schauspiel für mich in die zweite Reihe gerutscht, zum Plan B geworden.“ Zu sehen, wie hart es den Markt für die Freischaffenden getroffen hat; zu erleben, wie lange geplante Produktionen immer weiter schrumpften und schließlich abgesagt wurden – das alles hat ihm irgendwie die Zuversicht genommen.
Auch Rasmus Friedrich, der im 3. Jahrgang Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule studiert, hatte zwischendurch den Gedanken abzubrechen. Anders als die Studierenden der Theaterakademie, die mit Auflagen relativ schnell wieder in den Präsenzunterricht zurückkehren durften, mussten die Falckenbergler auch im zweiten Lockdown monatelang in den Distanzunterricht. Die Falckenberg-Schule ist eine Fachakademie, für sie gelten andere, strengere Regeln als für die Hochschulen. Irgendwann protestierten sie mit einem Offenen Brief und forderten eine Rückkehr in den Präsenzunterricht. Geantwortet haben fast alle angeschriebenen Politiker, einen Bescheid haben die Studierenden nicht bekommen. Sie mussten warten, bis die Infektionszahlen niedrig genug waren, um auch so wieder in die Schule zurückzukehren. Rasmus, der an diesem Protest beteiligt war, empfand das als sehr zermürbend. „Nach einem Jahr Pandemie hätte man politisch Strategien für individuelle Lösungen entwickeln können, genauer hinschauen und sich fragen, was Sinn macht und was nicht“, sagt er. „Wir wollten nichts leugnen, wir wollten unaufgeregten Protest machen und Pläne entwickeln, die funktionieren.“ Eine Zeitlang dachte auch er über ein anderes Studium nach. Inzwischen ist dieser Gedanke aber wieder verschwunden, er möchte ans Theater.
Überhaupt lassen sich die meisten, mit denen ich gesprochen habe, nicht in ihrem Traum beirren. Manche hängen ein Semester dran, um Verpasstes nachzuholen und auch, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Ganz aufgeben, nachdem sie einen der hart umkämpften Ausbildungsplätze bekommen haben, will kaum jemand. Jacoba Barber-Rozema, die aus Kanada nach München kam, um Musiktheater und Operngesang an der Theaterakademie zu studieren, bringt es schön auf den Punkt: „Im letzten Jahr habe ich gesehen, wie flüchtig das Leben und unsere Lebensumstände sein können. Mir ist klar geworden, dass ich Projekte machen muss und will, die mir wirklich etwas bedeuten. So entsteht bessere Kunst, ich kann etwas Positives zu unserer Gesellschaft beitragen. Auch habe ich das Gefühl, dass meine kurze Zeit auf dieser Erde so etwas bedeutet haben könnte.“