Diversitätsbeauftragte:r ist ein Beruf, der einem in den letzten Jahren immer öfter begegnet. Wie nennt sich das in deinem Fall richtig?
Also, die Nennung der Kulturstiftung des Bundes, die das Programm angestoßen hat, war Diversitätsagent, aber in den meisten Theatern heißt es Beauftragter für Diversität.
Agent klingt natürlich auch cool…
So fühle ich mich heute auch. (lacht)
Ich steige jetzt mal mit dem Begriff Diversität ein, Das ist ein sehr komplexer Begriff und jede:r hat eine etwas andere Vorstellung davon. Wie würdest du Diversität definieren?
Diversität in Deutschland war am Anfang sehr stark mit Migrations- und Rassismuserfahrungen verbunden, aber auch mit genderspezifischen Themen. Das sind die beiden Themen, die oft zentriert werden. Je öfter der Begriff verwendet wurde und je stärker die Forderung nach Diversität wurde, desto mehr wurden Klassismus und Aibleismus mitberücksichtigt. Diversität sollte der etwas popkulturellere, inklusivere Begriff sein.
Was bedeutet der Begriff für dich persönlich?
Ich verbinde den Begriff eher mit öffentlichen Kulturinstitutionen, weil das der Bereich ist, in dem ich tätig bin und der für mich besser fassbar ist als eine generelle Forderung nach Diversität. Für mich bedeutet Diversität im Theater, dem Anspruch gerecht zu werden, eine öffentliche Kulturinstitution und dementsprechend eine Kulturinstitution von allen, mit allen und für alle zu sein.
Wie muss man sich das konkret vorstellen? Hast du ein Büro im Theater und bietest Sprechstunden an?
Im Grunde ist es eine Stelle am Theater, die die Diversitätsbeauftragten selber shapen. Es gibt nicht diesen einen Ablauf oder diese eine Formel oder diese eine Strategie, sondern im Grunde ist es sehr theaterspezifisch, wie die Praxis letztendlich aussieht. In meinem konkreten Fall gab es durch das Programm eine Zentrierung der Arbeit an der programmatischen Ausrichtung des Hauses, an der Diversifizierung des Publikums und an der Diversifizierung des Personals. Das sind die sogenannnten drei Ps.
Dann weiß jeder gleich Bescheid.
Nicht alle, aber die, die im Game sind, wissen immer Bescheid. (lacht)
Wie hast du dir dein Aufgabenfeld erschlossen?
Für mich ist auch aus einer persönlichen Erfahrung heraus die programmatische Ausrichtung einer Kulturinstitution das wesentlichste beziehungsweise das unmittelbarste. Deshalb war für mich die Herangehensweise in diesen drei Bereichen, zu sagen, ich starte mit der programmatischen Ausrichtung, gehe darüber in die Publikumsentwicklung und arbeite mich parallel an die Personalstruktur heran, die natürlich in öffentliche Kultureinrichtungen am zähesten, und eigentlich die schwierigste Aufgabe ist. Denn zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe, hat das Verständnis über die Reichweite des Themas sehr oft gefehlt und viele dachten, Diversität wäre so viel wie, ich lade einmal im Jahr ein Gastspiel mit einer inhaltlichen Klammer und mit bestimmten Protagonisten auf der Bühne ein und habe als Institution mein Soll damit erfüllt. Der Weg über die programmatische Ausrichtung hat sehr viele Künstler:innen in unsere Haus geholt, die bestimmte Anforderungen hatten, die bis dahin nicht bekannt waren.
Welche zum Beispiel?
Eine für mich sehr sinnbildliche Erfahrung, die ich zu dem Zeitpunkt gemacht habe, war tatsächlich während der allerersten Veranstaltung in Düsseldorf. Wir haben die Bühne vorbereitet und ausgeleuchtet und nachdem wir fertig waren, habe ich den Beleuchter darauf hingewiesen, dass die Künstlerin, die auf der Bühne sitzt, eine schwarze Frau ist. Für die Person, die gerade am Scheinwerfer stand, war das eine Nonsense-Angabe in terms of ‘What are you trying to say?’. Aber der Beleuchtungsmeister hat diese Info verstanden und wusste, dass die Scheinwerfer umgefiltert werden müssen. Denn generisch sind Scheinwerfer so gefiltert, dass sie nur bei weißen Menschen gut wirken. Das war so ein key moment, bei dem es im Grunde um eine Kleinigkeit ging, die aber unmittelbar dazu führte, dass man sich fragt, wie wir die Menschen auf der Bühne angemessen sichtbar werden lassen können.
Im besten Fall wirkt sich so ein Schlüsselmoment ja auf alles aus…
Ja, und so möchte ich arbeiten. Ich hätte natürlich in einem Büro sitzen und Mails verschicken können, aber der unmittelbare Austausch mit den Kolleg:innen über das, worum es eigentlich geht, ist viel dynamischer. Nur so können wir Lösungen finden. Zum Beispiel sollte eine neue Bühne im Haus gebaut werden. Es wurde ausdrücklich erwähnt, dass der Zuschauerraum barrierefrei sein soll. Bei der Planung wurde aber vergessen, dass auch der Zugang zur Bühne barrierefrei sein sollte. Das ist kein Vorwurf, aber es zeigt die Grenzen, die einfach aus einer Gewohnheit entstehen. Die gesamte Idee von Barrierefreiheit wurde nicht mitgedacht.
Mit welchem der drei Ps beschäftigst du dich am liebsten?
Ich würde sagen, dass mir die programmatische Arbeit besonders am Herzen liegt und auch am leichtesten fällt, weil ich jetzt persönlich aus meiner eigenen Erfahrung entscheiden kann, welches Angebot oder welche Institution ich vereine. Ich bin nach Deutschland gekommen ohne künstlerische oder kulturelle Prägung. Das heißt, weder war ich Theatergänger, noch war ich Museumsgänger etc. Ich bin in in Beirut in einem kulturellen Umfeld aufgewachsen, in dem das, was hier die Herzen höher schlagen lässt, einfach nicht existent war. Bis zu einem gewissen Alter war Goethe für mich ein Institutsleiter. (lacht)
Du hast in Beirut Deutsch gelernt?
Ja, aber ich hatte absolut keine emotionale Bindung zur Sprache oder zu bestimmten Narrativen. Ich hatte auch zum Beispiel gar nicht die Fähigkeit, bestimmte Kontexte, die hier Konsens sind, zu übertragen, weil mir einfach die Grundlagen gefehlt haben. Ich bin nach Deutschland gekommen als Person, die viel auf sich hielt und dachte, künstlerisch und kulturell schon eingeweiht worden zu sein, dabei hatte ich keine Ahnung und konnte häufig gar nicht mitreden. Aber das führt ja weiter, zum Beispiel über die Do’s und Don’ts im Theater, etwa Klatschen an der falschen Stelle, die dir ganz klar zeigen, you do not fit in. Im Libanon gehört Szenenapplaus einfach dazu.
Aber ist das nicht auch Teil der Mentalität?
Ich glaube, es ist einfach eine andere kulturelle Vereinbarung.
Siehst du darin auch die Schwierigkeit, dass Jugendliche sich im Theater nicht immer willkommen fühlen?
Es werden einfach früh die Weichen gestellt. Wenn ich weiß, ich kann mich im Theater quasi wie zuhause verhalten, gehe ich natürlich lieber hin, als wenn ich weiß, ich muss die ganze Zeit still sein und darf keinen Mucks von mir geben. Aber auch als Erwachsener brauche ich ein Angebot, das mich ins Theater lockt. Das beginnt schon bei den Ticketpreisen. Ich möchte vielleicht zehn Stücke sehen auf einem Festival, muss mich dann aber zwischen zwei entscheiden, weil ich mir mehr nicht leisten kann, das ist frustrierend.
Was wäre denn ein ganz einfaches Mittel, um Theater diverser zu machen?
Das beginnt schon in der Personalstruktur. Wenn zum Beispiel in der Kostümabteilung wie selbstvertändlich erkannt wird, wenn für People of Color (PoC) keine braunen oder schwarzen Strumphosen oder braunen Pflaster vorhanden sind. In der Tonabteilung würde sofort auffallen, dass es keine braunen Microports gibt. In dem Moment, wo es neben dem Diversitätsbeauftragten 20, 30 oder mehr Menschen gibt, die auf unterschiedlichen Ebenen mitdenken, ergibt sich dann die programmatische Ausrichtung und die politische Haltung.
Ist das, was du beschreibst, schon spürbar? Merkt man, dass sich etwas verbessert hat?
Ich würde sagen, dass sich radikal was verändert hat, aber ich würde nicht behaupten, dass das alles mir zu verdanken ist, sondern es ist auch eine Zeit, in der die Öffentlichkeit selbst gerne darüber spricht und in der der Diskurs nicht mehr das vierte Sonderthema einmal im Jahr ist.
Gab es auch Widerstand?
Den größten Widerstand habe ich vielleicht von der dramatugischen Ebene erfahren, dort war die Diversitätsgrätsche deutlich zu spüren bzw. hat es etwas gedauert, bis man verstanden hat, dass man die Arbeit nicht wie bisher weitermachen kann. Meine Arbeit bezieht sich zum einen darauf, immer wieder Impulse zu senden, z.B. in der Dramaturgie konkrete inhaltliche Vorschläge zu machen. Zum anderen darin, die Mitabeitenden fortzubilden. Denn das Wissen um Diversität und seine Notwendigkeit ist nicht selbstverständlich. Daher ist es meine Aufgabe, dieses Wissen anderen zur Verfügung zu stellen. Ich war aber auch sehr eng mit der Geschäftsführung verbunden, in der Organisation von Fortbildungen, von personellen Aktivitäten usw. Im Bereich der Publikumsgewinnung gab es den Versuch, andere Kommunikationswege in Zusammenarbeit mit der Kommunikationsabteilung, aber auch mit der Stadt zu finden. Manches gelingt es, zu institutionalisieren, manches bleibt eben an der Person hängen. Aber die Idee von diversity als zentralem Bestandteil der Arbeit ist in Düsseldorf definitiv angekommen. Ich merke das in Besetzungen, in der proaktiven Suche nach Schauspieler:innen, Regieteams, Autor:innen usw. Es werden in der Dramatugie inzwischen fünf Runden mehr gedreht, um dem zu entsprechen, als noch vor zehn Jahren.
Vor etwa zwei Jahren hat ein Schauspieler rassistische Vorfälle am Düsseldorfer Schauspielhaus öffentlich gemacht. Angenommen, das würde sich wiederholen. Was würde nach dem jetzigen Wissensstand passieren?
Als ich in Düsseldorf angefangen habe, gab es lediglich eine Betriebsvereinbarung zum respektorientierten Verhalten am Arbeitsplatz. Und natürlich kam Rassismus darin gar nicht vor. Wir haben den rassistischen Übergriff zum Anlass genommen, eine neue Betriebsvereinbarung zu schließen, und zwar im Rahmen eines groß angelegten partizipatorischen Verfahrens auf allen Mitarbeiter:innenebenen. Wenn so etwas nochmal passiert, haben Betroffene eine sehr große Palette an Handlungsmöglichkeiten. Zum einen haben sie Kontaktstellen innerhalb des Hauses, aber auch Kontaktstellen außerhalb des Theaters. Außerdem ist eine Beschwerdestelle gegründet worden, die von einer Vertretung des Betriebsrates, einer Vertretung der Geschäftsführung und einer Diversitätsbeauftragten geleitet wird. Die unmittelbarste Aktion, die eingeleitet wird, ist es, der betroffenen Person Angebote zu machen, um die Erfahrung aufzuarbeiten. In einem weiteren Schritt hat die betroffene Person die Wahl, ob sie in eine Mediation gehen möchte mit der verursachenden Person oder ob sie möchte, dass die verursachende Person eine Fortbildung besucht. Der letzte Schritt sind unter Umständen schwere arbeitsrechtliche Schritte. Es geht aber vor allem darum, keine Sanktionen aufzuerlegen, sondern den Betroffenen zu helfen und dabei sicherzustellen, dass die verursachende Person dabei etwas lernt, damit sich der Fehler nicht wiederholt.
Das ist wirklich ein großes Angebot. Aber sicherlich kommt es ja immer auch auf die finanziellen Mittel an, über die nicht jedes Theater verfügt. Wie lassen sich solche Maßnahmen trotzdem umsetzen?
Ich vergleiche das gerne mit dem Brandschutz. Jede öffentliche Institution hat eine Brandschutzverordnung. Niemand käme auf die Idee, zu sagen, wir können den Brandschutz nicht berücksichtigen, weil zu wenig Geld da ist. Denn dann findet einfach nichts statt. Für mich heißt das, dass der Schutz der Mitarbeitenden und das Grundgesetz einfach mal Ernst genommen und auf genau derselben Ebene platziert werden wie der Brandschutz. Das muss einfach die Grundlage einer jeden Institution sein. Deshalb glaube und hoffe ich, dass das irgendwann mal ein Gesetz werden könnte in Bezug auf öffentliche Kulturinstitutionen.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, wenn man beruflich in diese Richtung gehen möchte?
Ich hoffe tatsächlich, dass es diesen Beruf eines Tages nicht mehr geben muss. Dass Diversität dann zum Selbstverständnis einer Institution gehört und es keine:n Beauftragte:n mehr braucht. Aber grundätzlich ist die Voraussetzung ein Interesse an politischen Diskursen und die Bereitschaft, das eigene Wissen laufend zu hinterfragen und upzudaten und Regeln verändern zu wollen. Das unterscheidet die Arbeit auch etwas von der Unternehmensberatung, denn sie ist immer fallspezifisch, immer individuell und nie linear.
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Guy Dermosessian ist im Libanon geboren und aufgewachsen und studierte zunächst Maschinenbau an der Universität Karlsruhe und an der Ruhr Universität Bochum. Von der Dynamik der Subkulturen Beiruts inspiriert, entwarf er verschiedene Club- und Konzertreihen, Festivals und interdisziplinäre Orte der Kunst im ungenutzten oder öffentlichen Raum. Als Projektmanager der Zukunftsakademie NRW beriet er zuletzt verschiedene Kommunen und Kulturinstitutionen des Landes NRW in Diversity Management. Mit seinem Musiklabel Kalakuta Soul Records bringt Guy Dermosessian Musiker:innen und Künstler:innen verschiedener Kontinente für gemeinsame Projekte zusammen.