Wie bist du zum Schreiben für das Theater gekommen?
Bevor ich überhaupt auf die Regieschule gegangen bin, so mit 13/14, habe ich ein Drehbuch von meinem Onkel übersetzt, der wollte unbedingt einen Film auf die Beine stellen. Das hat mich total fasziniert. Und dann habe ich angefangen, Geschichten aus meiner Jugendzeit szenisch darzustellen. Zu Beginn des Regiestudiums hatte ich eigentlich schon die ersten Entwürfe zu meinem ersten Theaterstück fertig. Das konkrete Schreiben fing für mich glaube ich so mit 16/17 an.
Hast du auch da über Dinge geschrieben, die aus deinem eigenen Leben kommen?
Ja genau, die Ausgangspunkte sind alle extrem autobiografisch. Natürlich habe ich auch zusätzliche Figuren erfunden und andere Handlungswege und dramaturgische Kniffe. Ich mochte es, selber zu konstruieren und zu entwerfen.
Wodurch vermittelst du mit deinen Texten und Stücken eine eigene Haltung und wo spiegelst du gesellschaftliche Realitäten wider?
Wenn man so autobiografisch erzählt, ist man meistens nicht so glücklich mit der Biografie und den Dingen, wie sie sich entwickeln. Meine Anfangsstücke, das war noch in einer Plattenbausiedlung mit extrem starker Gewalt, da fühlte ich mich nicht wohl und habe versucht, die Mechanismen zu durchschauen. Viele Figuren, die ich entwerfe, sind nicht ich, sondern sind so, wie sie die Welt definieren. Das heißt, auch die konfliktreichen Stücke sind zwar vielleicht sehr gewalttätig, aber so war ich selbst nicht. Es ist ein „Dagegen-Anschreiben“. Gerade im Theaterbereich hatte ich das Gefühl, dass Menschen mit meiner Prägung aus Narrativen ausgeschlossen werden. Und irgendwann dachte ich, nee! Es ist so eine andere, große Welt da draußen, jenseits des Kanons, der hoch und runter gespielt wird.
Wie vermittelst du eigene Narrative mit Fremdtexten?
Grade ein Stück wie Woyzeck oder Peer Gynt zum Beispiel versuche ich, in eine andere Gegenwärtigkeit zu übertragen, die auf meinem eigenen Kontext aufbaut. Ich weigere mich, da Playback zu spielen. Ich versuche, ein Stück ganz stark in die Dynamiken des Erzählers hineinzubringen, nicht nur ästhetisch sondern auch wirklich psychologisch so zu verankern, wie die Menschen sich verhalten würden. Übertragung und Transformation: das ist das, was mich immer beschäftigt. Wenn es neue Stücke sind, dann von Doğan Akhanlı oder Emine Sevgi Özdamar, „Ein von Schatten begrenzter Raum“ zum Beispiel. Diese Autoren interessieren sich für den deutschen Kontext aber aus einer Einwanderungssicht. In dem kostbaren Raum und mit der kostbaren Zeit, die mir das deutsche Theater zur Verfügung stellt, versuche ich also, Narrative zu verändern.
Wodurch möchtest du mit deinem Schreiben und deinen Stücken Menschen erreichen?
Mir ist total wichtig, das wir mit unseren Schicksalen und Biografien in exponierten Plattformen und Institutionen vorkommen. Sagen wir mal, wir gehen anderthalb Kilometer von hier zum Hauptbahnhof und sehen eine Gegenwärtigkeit, die in Anführungsstrichen viel „woker“ ist, viel präsenter und diverser. Im täglichen Leben leben wir viel stärker die Gegenwärtigkeit und das Theater läuft dem ein bisschen hinterher. Ich habe sogar die große Sorge, dass wir fast schon eine ganze heranwachsende Generation dadurch verlieren, dass sie das Theater als einen institutionalisierten rassistischen Ort abkanzelt, der es ja eigentlich nicht ist. Ich habe die große Sehnsucht, dass sich die Dinge solidarischer gegenüberstehen.
Hast du das Gefühl, dass es im Theater einen Wandel gibt?
Im Moment habe ich die große Sorge, dass sich die Positionen extrem antagonistisch gegenüber stehen. Ein Mensch wie ich, der sich mit diversen Themen auseinandersetzt, will ja auch nicht vor einem leeren Zuschauerraum seine Geschichten erzählen. Es wird vielleicht gesagt, dass uns mit unseren verschiedenen diversen Narrativen das Publikum egal sei, aber das stimmt nicht. Es ist uns sehr sehr wichtig. Ich glaube, dass dieser Transformationsprozess eben nicht nur eine oder zwei Spielzeiten dauert. Das braucht einen langen, geduldigen Atem und Protagonistinnen und Protagonisten, die künstlerisch nochmal genau hinschauen und versuchen, diesen Prozess einzuordnen. Antirassismus-, Feminismus-, Diversitäts-Themen – das ist ein interessanter Weg, um diese Stimmen und ästhetischen Handschriften herauszubekommen. Da sollte man nicht die Geduld aufgrund von kurzfristigen Zahlen verlieren, das ist mein Wunsch als Theaterautor.
Denkst du denn, dass das Theater einen Kanon braucht?
Ich sage weder, dass es nur das eine oder nur das andere geben soll. Ich glaube, es gibt einen verbindenden, nicht-antagonistischen Weg, nicht entweder Kanon oder zeitgenössich-divers. Man hat verschiedene ästhetische Zugänge in unserer Gegenwart. Das kann auch ein Stück sein, das vor 300 Jahren geschrieben wurde. Es ist ja gerade die Kraft des Theaters, dass uns so ein Stück etwas über die Gegenwart erzählen kann. Man sollte die Sachen nicht gegeneinander ausspielen, auch nicht die Künstler, die versuchen, da nach vorne zu gehen und uns, die Marginalisierten. Es gibt nur einen kleinen Teil unserer Gesellschaft, dem es sehr gut geht. Es gibt einen viel größeren Teil, dem es nicht gut geht. Aber der trägt auch alles mit. Diesen Teil in seinen Ästhetiken sichtbar zu machen, ist mir ein sehr großes Anliegen.
Wie sehr soll Theater unterhalten und wie sehr soll es berühren und zum Nachdenken anregen und Themen vermitteln?
Ich glaube, das ist ein Trugschluss. Auch ein verstörender Abend kann unterhalten. Dass das Theater Jahrmarktatraktion ist, ist klar, es ist aus dem Kern eines Volksfestes gedacht. Aber man sollte aufhören, und das ist das Fatale, zwischen Prosecco und dem Partyabend einmal schnell noch das Theater als Zeitvertreibsort zu sehen. Der Mensch soll ne gute Zeit haben, aber er soll mit einem bestimmten Blick oder einer bestimmten Sicht auf die Gesellschaft reicher rausgehen als er reingekommen ist. Das kann ein bisschen unangenehm sein, aber es kann auch bestens unterhalten. Am besten tut es beides. Das ist immer mein Anspruch an Theater und an die ästhetische Auseinandersetzung, auch mit extremen, schwierigen Themen.
In deinen Stücken gibt es oft Gewalt. Wie setzt du dich sprachlich als auch szenisch damit auseinander?
Das geht immer nur im Dialog und im Team mit den anderen Künstlern. Wir schauen uns die Szenen an, denken gemeinsam über Zugänge nach. Die Schauspieler und Schauspielerinnen müssen immer das Gefühl haben, dass sie die Macht haben, dass sie sich nirgendwo einem bestimmten Gedanken oder einer Ästhetik unterwerfen müssen. Aus dieser Empowerment-Haltung können wir Kreativität und Bilder entwickeln. Im seltensten Fall passiert das 1:1, weil man nicht die Gewalt reproduzieren möchte, die man eigentlich kritisiert. Und wenn wir nicht zufrieden sind, wird auch nichts durchgeboxt. Wir versuchen immer, zu überlegen, was hilft der Geschichte und was nicht. Das „Ich“ des ästhetischen Erzählers muss vorkommen, das ist unheimlich wichtig. Wenn man kooperativ und interessiert aneinander ist, findet man Wege, um das sichtbar zu machen, was einer Figur passiert. Dann kann man es dem Zuschauer so heranbringen, dass er es durchlebt und versteht, ohne dass diese Mechanismen reproduziert werden. Das schafft auch eine andere Freiheit in der ganzen Auseinandersetzung mit der gewaltvollen Gegenwart um uns herum.
In einem Interview mit „Nachtkritik“ hast du gesagt, dass Künstler:innen eigentlich zu spät auf bestimmte Auseinandersetzungen und Themen reagieren, weil da erstmal ein Prozess der Verarbeitung passiert. Wie meinst du das?
Der Prozess des Kristallisierens, so nenne ich das. Weil wir extrem viel Zeit brauchen, um die Gegenwart, die sich grade am Finden ist, durch unseren künstlerischen Filter zu ziehen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen: Was sehe ich da, was passiert da grade um mich herum. Deswegen können wir auch nie so schnell auf Taten, auf Anschläge, reagieren wie zum Beispiel Aktivisten, die sofort vor Ort sind. Wir schauen uns verschiedene Standpunkte an, die Gesellschaft, die Situation, und das braucht Zeit.
Welches Echo spürst du auf deine Arbeit, erreichst du die Menschen da an einem bestimmten Punkt in der Verarbeitung?
Es ist schon so, dass die meisten von verschiedenen Themen erschüttert sind. Aber natürlich ist es auch ein Ort des Trostes und des Auffangens. Es ist mir extrem wichtig, dass auch der, der betroffen ist, mit seiner Stimme Gehör findet. Da findet etwas statt, jemand setzt sich hin und setzt sich mit seiner Geschichte auseinander. 99% stehen dieser Aufklärung dankbar gegenüber. Unwissenheit macht mich ja nicht per se zu einem Rechtsradikalen. Der Moment der Aufklärung, wo man zueinander findet, schafft Räume der Begegnung. Am Ende finden verschiedenen Gruppierungen und Standpunkte zueinander.
Entwickelst du deine Figuren auch auf einer so menschlichen Ebene?
Auf einer zutiefst menschlichen Ebene und auch von einem Einzelschicksal her. Unsere Gesellschaft hat immer einen Plan für Täter. Wir verhaften ihn, machen ihm den Prozess, er kommt ins Gefängnis. Aber unsere Gesellschaft hat irgendwie gar keinen Plan für die Opfer. Die sind erstmal total auf sich gestellt. In den meisten Fällen werden die bei diesen rassistischen Angriffen auch selber verdächtigt. Es gibt keinen Bauplan, wie wir mit Opfern umgehen und Taten gedenken. Jede Stadt oder Gemeinde muss das für sich neu definieren. Und das ist schon sehr frustrierend und zermürbend für die Opfer. Das versuche ich den Menschen in den Theaterabenden vor Augen zu führen.
Am Ende eines Stücks wird ja nicht alles gut sein, wie gehst du aus so einem Stück raus?
Man geht natürlich auch mit einem großen Fragezeichen raus. Und mit der Aufforderung, weiter wach zu bleiben. So, dass auch alle Fragen offen bleiben müssen, wenn der Vorhang sich schließt. Dadurch gehen wir vielleicht aufmerksamer durch unsere Gesellschaft und schauen kritischer auf viele Dinge.